SWR2 Wort zum Tag

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ImPerfect. Oder sollte es heißen: I’m perfect? Seit Wochen gehe ich an der Plakatwerbung einer Modemarke vorüber und bin immer wieder aufs Neue fasziniert: Die Plakate zeigen jeweils ein sympathisches, interessantes Gesicht, das einen anlacht. Die Abgebildeten sind schön, natürlich, aber sie haben nichts Glattes oder Verwechselbares oder Altersloses, vielmehr wirken sie individuell und charaktervoll. Da sieht man zum Beispiel eine junge Frau, die ihre etwas abstehenden Ohren nicht in ihrer Haarmähne verbirgt, sondern selbstbewusst ihre Haare so trägt, dass man ahnt: Diese Ohren liegen nicht perfekt am Kopf an, sondern zeigen sich. Sie lacht hinreißend in die Kamera, als habe ihr jemand ein Kompliment dazu gemacht.
Der Schriftzug am Plakatrand heißt: ImPerfect. Oder doch: I’m perfect? Keine, keiner wirkt makellos oder künstlich – irgendeine kleine Unvollkommenheit zeigt jedes Gesicht. Und zugleich macht die Ausstrahlung der Personen deutlich: Ich bin richtig so, wie ich bin: I’m perfect!
Ich finde: Diese Botschaft könnte auch von der evangelischen Kirche zum Reformationsfest kommen. Denn dem Bestreben, sich selbst perfekt machen zu wollen, hält sie entgegen: Das führt nur dazu, dass Menschen allein um sich selbst und ihre Befindlichkeit kreisen. Nein, wir sind nicht perfekt. Es wäre sehr bequem und überheblich, wir würden das behaupten und alles so sein lassen, wie es ist, auch uns. Als hätten wir die Einsicht in das, was uns nicht gelingt oder was nicht liebenswert an uns ist, gar nicht nötig. Die Grunderkenntnis der reformatorischen Bewegung heißt aber: Erlöst und gerechtfertigt, in Gottes Gerechtigkeit eingehüllt, sind Menschen allein aus Gottes Güte und Gnade.
Das Entscheidende an der Selbsterkenntnis ist, so die Reformatoren: Die Einsicht, dass wir unvollkommen und nicht perfekt sind, lässt uns nicht verloren gehen. Diese Einsicht kann nicht zerstören, was der Grund unseres Lebens ist: Dass wir bei Gott geliebt sind.
Diese Liebe gibt uns festen Boden unter den Füßen. Wer geliebt wird und sich sicher und geborgen in dieser Liebe weiß, hat Kraft und Zuversicht, kann sich neu ausrichten und weiter entwickeln, kann Gutes und Sinnvolles tun und damit nicht nur sich selbst verändern, sondern auch die Welt.
Deshalb: Sie und ich - wir könnten uns einfach zu den Plakaten dazu stellen. Schaut her – so unvollkommen, wie ich bin, bin ich doch bei Gott: perfekt! Genau das könnte uns so strahlen lassen wie die Gesichter dort.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20819
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