SWR2 Wort zum Tag

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„Sehen Sie da oben!“, sagte der Stadtführer und deutete auf die Figur oben auf dem Kirchendach. „Das steinerne Fabelwesen mit Drachenflügeln und Hahnenkopf. Das ist der Basilisk. Früher glaubte man, dass der Blick des Basilisken einem Menschen die Seele rauben und ihn in Stein verwandeln könne. Darum herrschte große Angst vor dem bösen Blick des Basilisken.
Bis ein Bäckerjunge einen genialen Gedanken hatte. Er holte einen Spiegel und hielt ihn dem Basilisken vors Gesicht. Worauf das Ungeheuer, getroffen von seinem eigenen Blick, zu Stein erstarrte. Seitdem muss es dort oben auf dem Kirchendach sitzen“, beendete der Stadtführer seine Geschichte.
Ich kenne diese Redewendung auch. Wenn Blicke töten könnten!  
Blicke habe ihre eigene Sprache - auch jenseits aller Legenden. Denn die Art und Weise, wie wir in die Welt hineinschauen, hat Macht, Dinge und Menschen zu verwandeln. Blicke können töten. Aber sie können umgekehrt auch lebendig machen.
Ich denke an die Geschichte, als eine aufgewiegelte Menge mit bösen Blicken eine Frau vor Jesus zerrt. Sie soll die Ehe gebrochen haben.  
Das Urteil Jesu kann nach Meinung der Menge nicht anders lauten als: steinigen.
Jesus aber lenkt den Blick der aufgebrachten Menschen um - auf sie selber! „Wer unter euch ohne Schuld ist“, sagt er, „der werfe den ersten Stein!“ Da sind alle sprachlos. Und gehen betroffen davon.
Von Jesus lerne ich den anderen, den freundlichen Blick. Er geht zu den Menschen wie ein Unwissender. Legt sie nicht fest auf das, was sie getan haben. Auch nicht auf das, was sie sich selbst vorwerfen. Oder Andere ihnen.  
Jesus öffnet keine Schublade, in die jemand einsortiert wird. Sondern schaut sein Gegenüber so an, wie Gott es tut. Mit allen den wunderbaren Gaben und Begabungen. Den Fähigkeiten zu lieben und glücklich zu sein. Übrigens auch der Fähigkeit, schuldig zu werden.
Ein freundlicher Blick verwandelt die Situation. Löst, was erstarrt und versteinert ist. Lässt neue Anfänge zu.
Die Geschichte vom pfiffigen Bäckerjungen zeigt mir das auf ihre Weise. Ja, es ist wichtig, dass mir hin und wieder jemand den Spiegel vorhält. Denn - ins Positive gewendet - sagt die Geschichte ja dies: es kommt darauf an, den „guten“, den freundlichen Blick zu üben. Oder mit einem Wort der Bibel gesagt: „Ein freundliches Antlitz erfreut das Herz“.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20803
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