SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Es gibt Tage, an denen ich richtig gestresst bin. Nicht, weil ich so viel zu tun hätte, sondern: Weil ich mich selber bewerte.
Wenn ich mir zum Beispiel sage: Das hast du aber überhaupt nicht gut gemacht. Oder: Mensch, hier hättest du wirklich genauer zuhören sollen. Dann macht mir das Stress.
Noch schlimmer wird der Stress für mich, wenn ich mich mit anderen vergleiche. Dann sehe ich meistens nur dass, was andere besser können oder machen als ich: Die Kollegin kann viel besser singen als ich. Mein Mann ist viel ordentlicher als ich. Das Auto meiner Nachbarin ist immer viel sauberer als meines.
Genau zu diesem Thema hat Jesus eine Geschichte erzählt Ein vorbildlicher Schriftgelehrter und ein Zolleinnehmer gingen beide in den Tempel. Zolleinnehmer galten damals als schlimme Betrüger. Der Schriftgelehrte stellte sich hin und betete: Gott, ich danke dir, dass ich nicht so bin wie die anderen Menschen - kein Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder Zolleinnehmer wie dieser hier. Der Zolleinnehmer aber stand weit abseits. Er traute sich nicht einmal, zum Himmel aufzublicken. Er schlug sich auf die Brust und sprach: Gott, vergib mir. Ich bin ein Mensch, der voll Schuld ist.
Das sage ich euch, hat Jesus zu dieser Geschichte gesagt: Der Zolleinnehmer ging nach Hause und Gott hatte ihm seine Schuld vergeben - im Unterschied zu dem Schriftgelehrten. (Lk 18,9-14)

Mir gefällt diese Geschichte. Sie zeigt mir nämlich: Gott ist der einzige, der hinter die Kulissen schauen kann. Er hat den Überblick über das Ganze. Wir Menschen sehen immer nur die Oberfläche. Nicht die Einzelheiten. Aber gerade das ist wichtig für ein gutes Urteil.
Ich denke, das gilt auch für mich. Gott schaut mich liebevoll an. Ohne ein „besser oder schlechter als“. Ich muss ihm nicht beweisen, dass ich besser bin als andere. So kann ich in Ruhe meine Aufgaben erledigen so gut ich kann. Ich habe dadurch die Möglichkeit, mich zu entwickeln, selbst zu merken, was ich gut kann und was nicht. Und so kann ich meine Stärken ausbauen und meine Schwächen – naja, lernen mit diesen zu leben. Ohne mich ständig mit anderen vergleichen zu müssen.
Genau das will ich mir merken. Vielleicht hilft es mir, wenn ich mich mal wieder selbst unter Stress setze.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20778
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