SWR2 Wort zum Tag

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Da sage nochmal einer, dass sich Freundlichkeit nicht auszahlt! Eine Französin hat ihr gesamtes Vermögen an etwa 200 Menschen vererbt. Diese haben nur eines gemeinsam: sie waren irgendwann mal freundlich zu ihr. 
Die Frau war 86 Jahre alt und hieß Jeannine. Sie hat im nordfranzösischen Städtchen Dieppe gelebt. Bei ihrer Beerdigung waren keine 10 Trauergäste da, denn sie war weder verheiratet, noch hatte sie Kinder oder Geschwister. Und obwohl sie ganz bescheiden in einer Wohnsiedlung gelebt hat, hatte sie stolze 280.000 Euro beiseitegelegt. 
Für den zuständigen Notar war es eine ganz schöne Detektivarbeit, bis er das handgeschriebene Testament von Jeannine entziffert hatte. Es standen ungefähr 200 Namen darin. Über ein Jahr hat er gebraucht, bis er die Menschen mit Hilfe von Befragungen oder Telefonbuch gefunden hat. Auf Jeannines Liste standen nämlich meist nur die Vornamen oder gar kurze Beschreibungen. Beschreibungen von Menschen, die ihr irgendwann einmal behilflich waren, die ihren Seniorenalltag erleichtert haben, oder die einfach nur nett zu ihr waren. 
Zum Beispiel ein Busfahrer, der Jeannine auch mal zwischen zwei Haltestellen aussteigen ließ. Oder der Briefträger, der ihr die Post immer bis vor die Wohnungstür gebracht hat. Aber auch  die Kassiererin in einem Supermarkt, ein Apotheker, ein Metzger und verschiedene Krankenpfleger standen auf der Erbenliste von Jeannine. Es reichte jeweils aus, etwas Freundliches zu sagen, eine kleine Hilfestellung zu leisten oder die alte Dame besonders nett zu bedienen. Jeder von ihnen erhielt ca. 1.200 Euro. Jeannine schrieb in ihrem Testament: „Falls sich einer der Erben nicht an mich erinnert: ich bin die alte Dame mit dem weißen Regenmantel und den zwei Gehstöcken.“ Nachdem der Notar alle Wohltäter gefunden hatte, meinte er: „Das ist eine schöne Geschichte, aber für uns war es kein Geschenk.“ Ich finde Jeannines Idee klasse. Ihre Großzügigkeit zeigt mir, wie sehr sich manche Menschen über Kleinigkeiten freuen, auch wenn sie mir selbstverständlich erscheinen. Und auch wenn ich für einen kleinen Gefallen nicht gleich erbe, Freundlichkeit zahlt sich meistens aus. Und manchmal auch anders, als ich denke.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20736
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