SWR3 Gedanken

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Vor ein paar Tagen hat Iris zum ersten Mal Kaffee getrunken, der durch eine Zwiebelwurzel gefiltert wird. Tsulalu hat ihr sein Zimmer gezeigt. Das teilt er mit fünf anderen Eritreern. Und dann hat er Kaffee gekocht, so wie man das bei ihm Zuhause macht – durch das Wurzelgekräuse einer Zwiebel gefiltert.
Der Kaffee war ein Erlebnis – völlig anders als das, was man in den coolen Straßencafés mit den italienischen Espressomaschinen findet, eritreisch eben.
Bis vor kurzem wusste Iris nicht mehr über Eritrea, als das, was gelegentlich in den Zeitungen zu lesen ist: ein abgeschottetes Land mit einem Herrscher, der vor allem dafür bekannt ist, junge Leute von der Schule weg jahrelang zum Militärdienst zu zwingen, unter widrigsten Bedingungen.
Tsulalu hat es nicht mehr ausgehalten, völlig willkürlich gedemütigt und bestraft zu werden und nicht zu wissen, wie lange sein Militärdienst eigentlich dauern würde. Er hat die Flucht gewagt, und hat es bis nach Deutschland geschafft. Bis in eine Kreisstadt am Rande der Schwäbischen Alb. In der ist so ziemlich alles anders als bei ihm.
Das hätte schrecklich werden können. Aber er hat Iris getroffen. Sie hat ihn bei einer Veranstaltung ihrer Gemeinde kennen gelernt. Seither hält sie engen Kontakt zu ihm.
Am Anfang mussten die beiden etliche sprachliche und kulturelle Hürden nehmen. Aber jetzt gehört Tsulalu quasi zur Familie. Er sitzt ganz selbstverständlich beim Geburtstagsfest in Iris schönem Garten und springt ein, wenn der Sohn Max Hilfe braucht. Er geht mit der Familie in den katholischen Gottesdienst und zeigt Iris, wie man afrikanisch kocht.
Inzwischen hat Iris einen Schwimmkurs für Tsulalu und seine Freunde organisiert, den Deutschunterricht aufgemöbelt und eine Menge über das fremde afrikanische Land gelernt.
Vor allem aber über den Menschen Tsulalu. Fremd ist er jetzt nicht mehr.
Ich habe neulich lange mit Iris telefoniert und mir alles erzählen lassen. Beim Auflegen ist mir die Jahreslosung für 2015 wieder eingefallen. Iris und Tsulalu haben sie eingelöst: Nehmt einander an, gleich wie Christus euch angenommen hat, zum Lob Gottes.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20685
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