SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Alles drängelt sich an der Zugtüre. Ich bin leicht genervt, weil wir schon wieder Verspätung haben.
Die Frau neben mir schaut nervös auf die Uhr. Vielleicht hat sie Sorge ihren Anschluss zu verpassen. Sie mag um die 60 sein und hat zwei Koffer neben sich stehen.
Als die Türe endlich aufgeht und alle hinausdrängen, nimmt sie zuerst nur das kleinere Gepäckstück mit raus.
Ich habe meine Hände frei, also nehme ich beim Aussteigen ihren großen Koffer mit und stelle ihn auf dem Bahnsteig mit einem Lächeln vor sie hin.
Sie ist völlig überrascht. Weiß nicht, ob sie strahlen oder reden soll und tut schließlich beides. „Vielen Dank. Das ist so nett von Ihnen. Alles Gute Ihnen - und Segen, viel Segen!“. Es liegt Nachdruck in diesen zwei Worten – viel Segen!
Jetzt bin ich überrascht. Noch nie hat mich jemand auf dem Bahnsteig gesegnet. Ich kann erst mal gar nicht damit umgehen. Ziemlich überrumpelt murmle ich schnell noch „Danke, und noch gute Reise“ und gehe dann in die andere Richtung.
Beim Gehen erst merke ich, wie beschwingt ich bin. Der Segensgruß der Frau hat mich tatsächlich auf einer Ebene erreicht, auf der mein Kopf so schnell nicht mitkommt. Eigentlich hat sie mir nur sagen wollen, dass sie mir göttlichen Schutz wünscht. Aber offensichtlich tut schon der Wunsch dieser fremden Frau seine Wirkung.
‚Gesegnet‘ gehe ich also die Bahnsteigtreppen runter, durchquere die Bahnhofshalle und laufe zu meiner Arbeitsstelle. Auf dem Weg strahle ich alle Leute an, denen ich begegne – einfach so. Erstaunlich, was diese zwei Worte für einen Unterschied für mich gemacht haben. Deshalb will Ich mich das auch mal trauen – jemandem einfach Segen zu wünschen, viel Segen. Zum Beispiel Ihnen heute: Viel Segen!

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