SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Liebet eure Feinde – für diese Aufforderung ist das Christentum berühmt und berüchtigt. Seinen Feind zu lieben - was für eine Provokation!
Als ob es nicht schon schwer genug wäre, seine Freunde und Freundinnen wirklich zu lieben.
Jesus hat in bürgerkriegsähnlichen Zuständen gelebt. Und trotzdem dieses Gebot ausgesprochen. Was für ein Anspruch! Muss man da nicht notwendig dran scheitern?
Eine Freundin hat mir gezeigt, dass das nicht sein muss. Dass Feindesliebe sogar befreiend sein kann. Zumindest auf der persönlichen Ebene.
Sie hat in der Oberstufe einen Mentor bekommen, den sie absolut nicht leiden konnte.
Er wirkte auf sie völlig ichbezogen, zynisch und arrogant – alles gleichzeitig.
Nach ein paar Wochen hat sie sich gar nicht mehr konzentrieren können, so sehr hat sie sich geärgert über die Art, wie er redete, gestikulierte, lachte …
Irgendwann war sie dann genervt vom eigenen Genervtsein und hat eine neue Strategie ausprobiert:  sie hat angefangen, für ihn zu beten.
Sie hat im Gespräch mit Gott seinen Namen genannt und hat Gott gebeten, für ihn da zu sein. Jeden Tag hat sie das gemacht, zuerst gegen innere Widerstände, dann immer selbstverständlicher.
Mit der Zeit hat sich etwas verändert – nicht bei dem Lehrer, aber bei ihr. Sie hat in ihm noch andere Seiten entdeckt, weichere, vorsichtigere.
Nicht, dass sie ihn jetzt grundsympathisch gefunden hätte, aber ihr Bild von ihm wurde vielfältiger, durchlässiger, freundlicher. So kam sie wesentlich entspannter durch die Schulzeit und durch’s Abitur.
Durch das regelmäßige Beten hat sie sich richtig befreit von ihrem Feindesbild – oder vielleicht sollte ich sagen, Gott hat sie befreit?!
Neulich war ich mit ihr Kaffee trinken, da kam er plötzlich rein und hat sie sofort erkannt. Er hat sie freudig begrüßt und sich aufrichtig dafür interessiert, was sie denn jetzt mache.
Und meine Freundin hat ihm ebenso freudig geantwortet.
Das also ist Feindesliebe, dachte ich.  – kein Ding der Unmöglichkeit.

 

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