SWR3 Gedanken

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Ob es nun 4.000 oder 5.000 Treppenstufen sind, weiß niemand so genau. Im Laufe des stundenlangen Aufstiegs vergisst man das Zählen. Die Anstrengung dagegen, auf den höchsten Berg Sri Lankas zu kommen, vergisst niemand.
Nicht die Mutter, die alle paar Stufen mit ihrem Kleinkind verschnauft, nicht der Alte mit dem Stock, nicht das junge Paar und auch nicht, die durchtrainierte Touristin aus Europa.
Sie haben alle dasselbe Ziel, aber jeder erlebt und deutet es auf seine Weise.
Die Buddhistin mit ihrem Kind wird sich später vor dem Fußabdruck Buddhas niederknien und beten.
Der Alte wird voller Ehrfurcht seinen Kopf an den Stein legen. Für ihn trägt er den Abdruck von Shivas Fuß. Das muslimische Paar wird beeindruckt an Adam denken, der nach der Überlieferung hier seinen ersten Schritt jenseits des Gartens Eden getan hat. Und die Touristin aus dem christlichen Westen wird überlegen, ob der Apostel Thomas tatsächlich hier seinen Fußabdruck hinterlassen hat.
Ein Fußabdruck, vier Religionen. Und jede erlebt damit etwas Anderes. Wer hierher kommt, streitet nicht darüber, welche Sicht des Fuß-Abdrucks wohl die richtige ist.
Der Weg zum Heiligtum ist zu lange und zu beschwerlich. Wer es schafft, hat erst mal Respekt. Vor sich und den anderen. Auch Respekt vor dem, was die anderen glauben und ihnen so viel Kraft gibt.
Auf dem Weg hinunter redet kaum jemand, aber alle achten aufeinander. Damit niemand stolpert oder fällt. Adam’s Peak, die Bergspitze, liegt jetzt in ihrem Rücken.
Adam’s Peak stärkt ihnen den Rücken, damit sie aufeinander achten können. Die Buddhistin auf den Hindu, der Hindu auf die Muslime, die Muslime auf die Christin.
Und auch wenn sie morgen wieder an unterschiedlichen Orten auf ganz unterschiedliche Weise ihren Glauben praktizieren werden – dort oben, auf Adam’s Peak, haben sie erlebt, dass sie alle etwas gemeinsam haben. Sie sind alle Kinder Gottes oder einfach: Adams Geschwister und Nachkommen. 

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