Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Nach der Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge beginnt der anspruchsvolle Prozess der Integration. Dieser Prozess fordert alte und neue Einwohner gleichermaßen. Sprache und Arbeit spielen eine wichtige Rolle, Sport, Musik und Feste können verbinden. Zugleich werden wir herausgefordert: Viele Flüchtlinge kommen aus Staaten in Auflösung und aus Gesellschaften ohne Vertrauen. Misstrauen und Überlebenstaktiken sind die Folge bitterer Erfahrungen. Loyalität gegenüber Clan und Familie sind oft die einzig verbliebene Verbindlichkeit. Bei uns treffen die Flüchtlinge auf ein Gemeinwesen, das durch eine offene, freiheitliche Gesellschaft und einen funktionierenden Staat geprägt ist, dessen Institutionen, etwa Polizei und Justiz, grundsätzlich Vertrauen verdienen. Hier müssen sie nicht nur neue Regeln lernen – etwa im Straßenverkehr - , sondern auch neues Vertrauen und den Umgang mit der Freiheit. Denn diese Freiheit kann quer zu ihren bisherigen Erfahrungen und Prägungen liegen: Freiheit und Gleichberechtigung der Geschlechter, Freiheit der Religion und der Meinung und auch Freiheit gegenüber Clan und Familie. Was wir in Jahrhunderten eingeübt haben, müssen sie sich im Schnelldurchgang aneignen. Das wird nicht immer einfach sein, und wir alte Einwohner können und müssen sie dabei unterstützen: Menschen lernen an Modellen. Es kommt deshalb darauf an, wie ernsthaft und glaubwürdig wir selbst diese Freiheiten mit Leben füllen und vorleben. Dazu gehört auch, dass wir diese Freiheiten achten und verteidigen. Das dient den Flüchtlingen, wenn wir sie verteidigen gegen Rassismus und Fremdenhass. Und wir müssten diese Freiheiten auch verteidigen, wenn sie aus den Reihen von Flüchtlingen selbst in Frage gestellt würden. Es ist kein Zeichen von Verständnis oder gar christlicher Barmherzigkeit, wenn wir kulturbedingte Einschränkungen unserer Freiheiten hinnehmen. Es ist eher ein Zeichen von Ratlosigkeit oder Schwäche. Einer ratlosen und schwachen Gesellschaft fehlen aber Kraft und Kompass zur Integration. Und das schadet alten und neuen Einwohnern. Nicht aus Überheblichkeit oder kolonialer Attitüde sollten wir auf diese Freiheiten setzen, sondern weil sie Grundlage einer gelingenden Integration sein können

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