SWR2 Wort zum Tag

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„Unschuld“, nur aus diesem einen Wort besteht der Titel des neuen Romans von Jonathan Franzen. Das Buch müsste eigentlich „Reinheit“ heißen, wenn man den englischen Originaltitel „Purity“ exakt übersetzt. In diesem faszinierenden Buch mit seinen über 800 Seiten geht es in jedem Fall um Unschuld und Reinheit: Menschen sehnen sich danach, nicht schuldig zu sein, obwohl sie doch in schuldhafte Zusammenhänge verstrickt sind. Menschen ringen darum, selbst rein zu bleiben, mal im körperlich- materiellen, mal im übertragenen Sinn.

Zu den Protagonisten der Geschichte zählen unter anderen ein Enthüllungsjournalist und ein sogenannter Whistleblower, ein Internetaktivist, aufgewachsen in der Spätphase der DDR. Zum bunten Personal dieses Buches gehört aber ebenso eine unter Waschzwang und  Verfolgungswahn leidende Mutter. Um jeden Preis versucht sie, ihre Tochter von der schmutzigen Welt amerikanischer Superreicher fernzuhalten - und verbirgt das Kind deshalb sogar vor dem leiblichen Vater. Ihrer Tochter hat sie den Namen „Purity“, Reinheit gegeben– welche Hypothek für ein Kind.

Alle in diesem Buch wollen wenigstens in ihrem persönlichen Leben moralisch integer, anständig sein. Sie suchen das richtige Leben im falschen System. Und so rebellieren sie gegen die Umklammerung der Mutter und den korrupten Journalismus. Sie rebellieren gegen den Kapitalismus und gegen die Macht der Internetkonzerne.

Nahezu automatisch aber geraten sie dabei selbst in eine Falle: Sie werden zu selbstgerechten, erbarmungslosen Moralaposteln. Sie manipulieren sich gegenseitig - um der guten Sache willen. Jede misstraut jedem. Jeder hat irgendwo einen dunklen Fleck im Leben, den er zu verbergen sucht – bis zu einem Mord aus Liebe.

Mich erinnert dieses Buch an den Brief, den der Apostel Paulus der Gemeinde in Rom geschrieben hat. Wie in keinem anderen Buch des neuen Testamentes ist dort diese menschliche Grunderfahrung beschrieben: Ich bin nicht der Mensch, der ich sein will. Was ich auch tue, ich bin und bleibe verstrickt in sündhafte Zusammenhänge. Was ich auch tue, ich werde schuldig an anderen. Lapidar heißt es beispielsweise im 7. Kapitel des Römerbriefs: „Das Gute, das ich will, tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will.“

Durch und durch aber ist der Römerbrief auch von einem unerschütterlichen Glauben, einer großen Hoffnung getragen: Mit seinem Leben und seinem Tod hat Jesus Christus mir gezeigt, wie ich diesen sündhaften Verstrickungen entkommen kann. Durch ihn kann ich  mich selbst wieder erkennen, als ein Kind Gottes, frei und zum guten Handeln fähig.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20662
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