SWR2 Wort zum Tag

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Der Kirchenvater Hieronymus, der heute vor knapp 1600 Jahren in Bethlehem starb, gilt als der Schutzpatron aller Übersetzer. Stellvertretend steht er für alle Menschen, die sich jemals der Mühe unterzogen haben, aus einer oder in eine fremde Sprache zu übersetzen. Sein ikonographisches Tier ist der Löwe, der ihn auf allen Darstellungen begleitet, der Legende nach hatte er dem Löwen einen Dorn aus dem Fuß gezogen.
Ich finde es faszinierend, dass es keine perfekte Übersetzung gibt. Selbst Kindern, die von Anfang an zweisprachig aufwachsen, gelingt das nicht. Meine Freundin, die lange für die EU als Übersetzerin gearbeitet hat, erzählte mir, dass Menschen mit zwei Muttersprachen sogar größere Probleme haben, von einer dieser Sprachen in die andere Sprache zu übersetzen als diejenigen, die eine der beiden Sprachen als Fremdsprache gelernt haben. Schon ein einfaches Sprachverständnis ist eine unglaublich komplexe Angelegenheit. Rechte und linke Hirnregionen müssen feinabgestimmt kooperieren. Selbst Wissenschaftler bezeichnen deshalb die menschliche Sprachfähigkeit als Wunder. Eine Übersetzung potenziert die Herausforderung. Wahrscheinlich ist es einfacher, einem Löwen einen Dorn aus der Tatze zu ziehen. Trotzdem haben sich Menschen immer wieder dieser Herausforderung gestellt - oder müssen es tun, weil sie als Flüchtlinge in ein fremdes Land kommen. Sie wollen teilen und mitteilen, was sie bewegt und begeistert und überwinden dabei Sprachgrenzen. Es ist schon schwierig genug, die eigenen Empfindungen einem anderen Menschen in der eigenen Sprache zu vermitteln. Wie viele Beziehungen sind an dieser vergleichbar leichten Aufgabe gescheitert. Sobald Menschen ihren Kulturkreis überschreiten und sich mitteilen wollen, müssen sie übersetzen. Dass das nicht Wort auf Wort funktioniert versteht jeder, der schon einmal versucht hat, per google-Übersetzer einen Text zu verstehen. Oder einen Bibeltext aus dem Hebräischen ins Deutsche zu übersetzen. Oder eine Metapher in eine fremde Sprache zu übertragen.
Die berühmteste Metapher der Sprachgeschichte ist übrigens eine Löwenmetapher. Achill ist ein Löwe, heißt sie. Damit sind wir wieder beim Wappentier des Kirchenvaters Hieronymus. Es braucht schon die Kraft eines Löwen, sich an schwierige Übersetzungen zu wagen. Diese Kraft wünsche ich allen Flüchtlingen. Und dazu Menschen, die für sie wie Schutzpatrone sind und ihnen helfen, die deutschen Metaphern zu verstehen. Und die wenn es drauf ankommt, auch einen Dorn aus dem Fuß ziehen können.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20595
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