SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Religionsunterricht in einer ersten Klasse einer Dorfgrundschule, kurz vor den großen Ferien. Es geht um die biblische Geschichte von Josef und seinen Brüdern in Ägypten. Ein Junge ruft begeistert: „In Ägypten waren meine Eltern schon mal. Da sind die Pyramiden.“ – „Ich war da auch schon mal, im Urlaub“, meint eine Klassenkameradin. „Da ist es toll!“. Sara dagegen schüttelt den Kopf und runzelt die Stirn. „Nein, nicht toll“, sagt sie bestimmt. „Nur sehr, sehr heiß!“
Sara war nicht im Urlaub in Ägypten. Ägypten war eine Station auf ihrer Flucht aus Syrien. Sie hat keine guten Erinnerungen an das Land. Wie genau ihr Fluchtweg war, habe ich noch nicht herausgefunden. Aber ziemlich sicher war auch ihre Familie auf Schlepper angewiesen, um nach Europa zu kommen. Wahrscheinlich hat Sara Glück gehabt, dass sie nicht im Mittelmeer ertrunken ist, wie der kleine Aylan, dessen Bild vor kurzem um die Welt ging.
Sicher ist auch: Ihre Eltern hätten jede Möglichkeit genutzt, ihre drei Töchter vor dem Krieg in Syrien in Sicherheit zu bringen. In ein Land, in dem sie eine Zukunft für sie sehen. Solange es keinen legalen Weg gibt, vertrauen sich die Flüchtenden Schleppern an. Deshalb ärgert es mich, wenn es heißt, dass man den Schleppern das Handwerk legen muss, wenn wieder Bilder von toten Flüchtlingen im Fernsehen kommen. Das klingt nach einer einfachen Lösung. Aber die gibt es in dieser komplizierten Situation nicht.
Sara hat sich schon gut eingelebt. In der Klasse gehört sie selbstverständlich dazu. Sie hat in der Sprachförderung schnell deutsch gelernt und den Stoff der ersten Klasse, den sie in dieser Zeit verpasst hat, mit Hilfe ihrer Eltern fleißig nachgeholt. Mit ihrer älteren Schwester spricht sie manchmal deutsch, einfach nur, um zu üben. Ihre Eltern sind gläubige Muslime – aber sie haben nichts dagegen, dass Sara den christlichen Religionsunterricht besucht, um die Religion der meisten ihrer Mitschüler auf dem Dorf kennen zu lernen. Inzwischen wohnt die Familie auch nicht mehr im Wohnheim  – dank eines aufmerksamen Ortsvorstehers und der Hilfe von Ehrenamtlichen vom Arbeitskreis Asyl konnten sie die lange leerstehende Wohnung im Rathaus des Nachbardorfs beziehen.
Wenn Sara mir lächelnd ihr Heft zeigt, in dem sie mit kräftigen bunten Farben ein Bild gemalt und in sorgfältiger Erstklässlerschrift die Überschrift darüber geschrieben hat, dann bin zuversichtlich, dass sie ihren Weg machen wird. Und hoffe, dass möglichst viele Kinder aus Syrien diese Chance auch bekommen.
Für Sara und viele andere Flüchtlingskinder hat diese Woche die Schule wieder begonnen – ich wünsche ihnen einen guten Start!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20548
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