Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Sich verkleinern ist eine große Sache. Meine Bekannte, knapp 70 Jahre alt, hat es geschafft. Sie hat ihr Haus mit einem wunderschönen Garten verkauft und ist in eine seniorengerechte Etagenwohnung gezogen. Vom Kopf her vollkommen richtig. Sie ist nicht mehr die jüngste. Wer weiß, wie lange sie den großen Garten noch hätte pflegen können. Und das Haus war für sie allein wirklich viel zu groß. Die neue, seniorengerechte Wohnung ist natürlich viel kleiner, dafür mit Aufzug und das Bad ist so gebaut, dass man auch mit einem Rollstuhl gut klar kommen kann. Denn wer weiß, wie es ihr in einigen Jahren geht. Alle sachlichen Argumente sprachen für den Umzug in was Kleineres, aber emotional war das schon eine große Sache. Denn in ihrem Haus hat sie jahrzehntelang mit ihrem Mann gelebt, der vor vielen Jahren verstorben ist. Die Kinder sind hier groß geworden. Große Feste mit der Familie und den Freunden wurden hier gefeiert. Jeder Strauch im Garten, jedes Stück Möbel im Haus, alles ist mit Erinnerungen behaftet. Das alles loszulassen war wahrlich nicht einfach.

Monatelang hat meine Bekannte ausgemistet. Nur weniges konnte sie in die neue Wohnung mitnehmen. Zuerst konnten sich natürlich die Kinder das holen, was sie haben wollten. Aber so viel war das nicht. Dann hat sie möglichst viel an Freunde verschenkt. Weil es gut tut zu wissen, wo die Dinge stehen, an denen ein Stück vom Herzen hängt. Dann kamen die sozialen Einrichtungen dran. Die Caritas, das Rote Kreuz, die Arbeiterwohlfahrt nahmen mit, was sie brauchen konnten. Und was dann übrig blieb, ging in den Sperrmüll.

Ich habe großen Respekt vor der Leistung von Leuten, die sich freiwillig verkleinern. Denn irgendwie sind wir Menschen eher darauf programmiert, immer größer werden zu wollen. Eine größere Wohnung, ein größeres Auto, eine längere Reise, das ist so allgemein der Trend. Da gegen zu stehen ist für mich ein Zeichen wahrer Größe.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20512
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