SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Mit achtzehn, neunzehn Jahren habe ich an gar nichts mehr geglaubt. Dabei war ich ein so frommes Kind gewesen, also immer in den Kindergottesdienst, irgendwie fasziniert von der Kirchenatmosphäre: dem Gesang, den Kerzen, den Worten. Still begeisterte Konfirmandin, die freiwillig die längsten Psalmen auswendig lernte. Aber dann ging das einfach weg, es versickerte irgendwie. Mit sechzehn bin ich aus dem Religionsunterricht ausgetreten. Was ich da zu hören bekam, war weit ab von meinem Leben und den Fragen, die mich damals beschäftigten: Großartige Fragen, wie das in dem Alter so üblich ist: Was ist gerecht? Was heißt Wahrheit? Wie kann man eine bessere Welt schaffen? Nichts, aber auch gar nichts deutete darauf hin, dass ich zehn Jahren später Theologie studieren und Pfarrerin werden würde. Bis ich dann, so mit etwas über zwanzig, noch einmal in die Kirche kam, in der ich als kleines Mädchen immer so inbrünstig geglaubt und gebetet hatte. Da saß ich wieder auf der Kirchenbank und erinnerte mich an mein Kindergebet, an die Lieder, an die biblischen Geschichten.
Wie lernt man Glauben? Man lernt, indem man es tut. Das gilt für den Glauben genauso wie für das Klavierspielen und das Kuchenbacken. Man lernt es nicht, indem man darüber nachdenkt und haufenweise Bücher darüber liest. Man muss einfach damit anfangen  Darum gehe ich oft mit Patienten in die Klinikkapelle. Einfach so, zum Hinsetzen, Stillsein, Kerzenanzünden und die Ruhe in diesem schönen Raum zu spüren.   
Blaise Pascal (1623-1662), der Mathematiker und christliche Philosoph, wurde einmal gefragt, wie man zum Glauben kommen könnte. Sein Tipp: „Knie nieder, bewege deine Lippen zum Gebet und du wirst glauben.“ Handle so, als hättest du schon den Glauben, als wärest du schon genau da, wo du hin willst  – und er wird dir gegeben werden. Aber geht das? Ohne, dass es von Herzen kommt, sich hinknien und beten? Muss da nicht erst etwas in der Seele geschehen? Vielleicht ist es eher umgekehrt: Man muss es erst tun – um zu sehen, dass man es kann und dass es das Richtige für einen ist. Zuerst  muss man sich leibhaftig einer Tätigkeit hingeben, bevor sie in die Seele dringt. „Knie nieder, bewege deine Lippen zum Gebet und du wirst glauben.“

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20509
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