SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Ich bin mit meiner Familie in Berlin. Wir fahren mit dem Aufzug runter zur U-Bahn. Unsere Tochter Mathilde sitzt im Kinderwagen und schaut sich die Welt an. Der Aufzug ist eh schon völlig überfüllt, aber immer noch kommen Leute dazu. Ganz zum Schluss drängt sich ein Mann Mitte vierzig dazu. Er quetscht uns alle nochmal richtig zusammen, dann schließt die Tür und wir fahren eine Etage tiefer.

Die Stimmung im Fahrstuhl ist immer speziell, in einem überfüllten erst recht. Der Mann, der später dazugekommen ist, nimmt Kontakt zu Mathilde auf und die beiden lächeln sich immer wieder an. Plötzlich sagt der Mann zu ihr: „Hey Mädchen, Du kannst Dich freuen. Es ist ein schöner Tag, ich habe keinen Lungenkrebs.“

Stille. Ich hab Gänsehaut. „Haben Sie das gerade eben erfahren?“, will ich wissen. Er nickt glücklich. „Wow“, kann ich nur sagen. „Was für eine Nachricht. Ich freu mich sehr für Sie. Jetzt müssen Sie den Tag aber richtig genießen.“ „Oh ja, das tue ich. Oh man…“ und er schüttelt ungläubig den Kopf.

Langsam aber sicher zeichnet sich in den Gesichtern der anderen Mitfahrer ein Lächeln ab. Aber sonst: keine Regung.

Nur ein älterer Herr hört in aller Ruhe zu. Dann klopft er dem Mann auf die Schulter und lacht. Mehr nicht. Kurz danach sind wir angekommen und alle steigen aus.

Ich hab schon wieder eine Gänsehaut. Was für ein Tag. Was für eine Begegnung. Mitten im Leben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20505
weiterlesen...