SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Große Veränderungen standen bei uns an. Gerade sind wir umgezogen. Von der Westpfalz nach Mittelhessen. Aus einem kleinen Dorf in eine Universitätsstadt.
Aber – und das war für uns die größte Herausforderung: Aus einem großen Pfarrhaus in ein normales Reihenhaus.
Wir mussten uns verkleinern. Das war uns klar. Wir hatten einfach zu viel. „Das wird nicht alles in die neue Wohnung passen“, hat meine Frau gesagt, „die Möbel, die Bücher, die Pflanzen, die Wäsche.“
Also war vor dem Packen erstmal Aussortieren angesagt.
Da sind Sachen zum Vorschein gekommen. Die haben wir die letzten fünfzehn Jahre weder angeschaut noch gebraucht.
Also haben wir kistenweise Bücher verschenkt. Die Krimis, die ich in den Sommerferien gelesen habe. Die Bildbände. Wir haben Möbel an Freunde verschenkt, Kleider gespendet und säckeweise Papier fortgeworfen: alte Briefe, Kontoauszüge, Pappkartons …
Dinge, von denen ich gedacht habe: Das heb ich mal auf. Ich kann es bestimmt nochmal gebrauchen. Und dann war es versunken und vergessen in irgendeinem Winkel.
All das ist wieder zum Vorschein gekommen. Und es war für uns ein hartes Stück Arbeit, loszulassen, fortzugeben, wegzuschmeißen.
Ich kann Ihnen sagen: Leicht ist uns das Loslassen nicht gefallen. Ich habe als Pfarrer zwar immer gepredigt, dass man sein Herz nicht an irdische Dinge hängen soll.
Aber auf einmal habe ich gemerkt: Das kann richtig schwer sein, sich von Altem zu trennen, von vertrauten, liebgewonnenen Dingen.
Ich brauche sie zwar nicht mehr. Aber an diesen Dingen hängen so viele Erinnerungen. An die Schulzeit. An das Studium. An einen lieben Menschen. An einen Urlaub.
Trotzdem. Das meiste musste weg. Und dabei habe ich auf einmal gespürt: Das tut sogar gut. So frei wie in den letzten Wochen habe ich mich lange nicht mehr gefühlt.
Das Chaos auf dem Speicher und im Keller war gelichtet. In das Unaufgeräumte ist Ordnung gebracht. Wir haben unnötigen Ballast abgeworfen, uns von dem getrennt, was wir wirklich nicht mehr brauchen.
Das hat auch meiner Seele richtig gut getan. Altes aufgeben, damit was Neues beginnen kann. Das hinter mir lassen, was mich belastet, damit ich offen werde für das, was kommt. Ich habe das Gefühl, leichter zu atmen. Leichter zu leben.
So ist es auch einem Mann ergangen. Bei dem hatte sich im Laufe der Jahre ganz schön viel angesammelt an Ballast.

In der Bibel lese ich die Geschichte von einem kranken Mann. Er war gelähmt. Wir würden heute sagen: Er war in seiner Mobilität stark eingeschränkt.
Gut, dass er Freunde hatte, Nachbarn, die ich um ihn gekümmert haben. So hat er – trotz seiner Einschränkungen – am Leben im Dorf teilnehmen können.
Als Jesus in dem Dorf war, haben die Freunde dafür gesorgt, dass der ans Bett Gefesselte dabei sein konnte. Mittendrin in der Versammlung.
Und Jesus hat ihn gesehen, wie er da gelegen hat. Hat ihn angeschaut in seiner Not. Und dann hat er zu ihm gesagt: „Deine Sünden sind dir vergeben.“
Moment mal. … Da kommt ein Kranker, ein Gelähmter zu Jesus und der hat nichts Besseres zu sagen als „Deine Sünden sind dir vergeben“?
Wie kommt Jesus dazu? … Offenbar hat er mehr gesehen als nur die äußeren Zeichen der Krankheit.
Offenbar hatte sich da im Leben des Kranken noch anderes angesammelt. An Ballast. An Überholtem, längst Vergangenen, das er weiter mit sich rum geschleppt hat.
In der Bibel wird nicht erzählt, was das war. Aber ich kann mir das ganz gut vorstellen. Es ist schon erstaunlich, was sich in einem Leben so alles ansammeln kann.
Böse Worte haben mich verletzt. Oder ich habe mein Leben vergiftet mit finsteren Gedanken. Beziehungen sind zerbrochen. Die Scherben liegen auf dem Weg und man kann nicht darüber hinweg kommen.
Manches ist mir durchaus bewusst. Anderes ist abgetaucht ins Unterbewusste. Längst vergessen, aber noch da. Und ich schleppe es mit. Trage es sogar anderen nach. Vielleicht kennen Sie das.
Wie wäre es, da mal aufzuräumen, damit das Leben leichter wird? Freier.
„Deine Sünden sind dir vergeben“, hat Jesus zu dem Gelähmten gesagt. „Das, was dich belastet, soll weg geschafft werden. Gott wird dir einen neuen Anfang schenken.“
Damit hat Jesus damals den Kranken aufgerichtet. Im wahrsten Sinne des Wortes. Er hat ins Leben zurück gefunden. Frei von dem, was ihn belastet hat, konnte das Leben für ihn noch mal neu beginnen.
„Deine Sünden sind dir vergeben. Geh in Frieden.“ Das sind Worte, die ich kann mir selbst nicht sagen. Niemand kann sich selber entschuldigen. Das muss immer ein anderer tun.
Deshalb gehe ich so gerne in den Gottesdienst. Da kann ich das hören, so wie der Kranke damals von Jesus: „Deine Sünden sind dir vergeben. Geh hin in Frieden.“
Das lässt mich aufatmen. Und so kann ich entrümpelt, befreit und ermutigt in die neue Woche starten. Und in die neue Aufgabe, die nach dem Umzug jetzt auf mich wartet. Mit einem leichtem Herzen.
Das wünsche ich auch Ihnen – heute an diesem Sonntag!

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