SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

„Mit 17 hat man noch Träume“, heißt es in einem alten Schlager. Ich muss jetzt daran denken, als ich bei dem über 90jährigen Herrn sitze, und er sagt: „Ich bin freiwillig zu den Soldaten gegangen, mit 17“. Und dann schickt er noch hinterher: „Das versteht heute keiner.“
Ja, denke ich, das ist nicht leicht zu verstehen, warum ein junger Mann mit 17 in den Krieg zieht. Und doch waren es zu seiner Zeit nicht wenige. Und heute hören wir es wieder, wie junge Männer sich begeistern lassen. Sogar bereit sind, in einem fernen Land zu kämpfen.
„Mit 17 hat man noch Träume“. Ich versuche, mich zu erinnern, wie ich mit 17 war. Ich erinnere mich an ein Praktikum, das ich damals in einem Krankenhaus gemacht habe und das mich ziemlich überfordert hat. Mit 17, da ist es nicht einfach, mit Krankheit oder Tod zurechtzukommen. Bis in den Traum hat es mich damals verfolgt.
„Wie sind Sie damit zurecht gekommen, als so junger Mensch im Krieg zu sein?“ frage ich deshalb den alten Herrn. Und er wird traurig, wenn er daran denkt und davon erzählt. „Ich bin nicht damit zurechtgekommen,“ sagt er. „Ich muss heute noch jede Nacht daran denken. Es verfolgt mich im Traum.“ Die Träume des 17jährigen von damals sind bei dem 92jährigen zu Alpträumen geworden. Seine Seele ist verletzt. Viele Jahrzehnte hatte er keine Gelegenheit, die Wunden auf seiner Seele heilen zu lassen. Wem hätte er sich anvertrauen können? „Das versteht heute keiner.“ Das war und ist seine Erfahrung.
Mag sein, dass er Recht hat, dass es schwer ist zu verstehen, was ihm damals wichtig war. Aber dass ein 17jähriger überfordert ist von den Erfahrungen im Krieg, das kann ich mir vorstellen. Sicher hatte er wie alle 17jährigenTräume von einem guten Leben, von der Liebe - wie es in dem Schlager heißt. Und musste im wirklichen Leben Schlimmes erleben. Kein Siebzehnjähriger auf der Welt sollte so aus seinen Träumen herausgeholt werden. Und auch sonst keiner.
Am Ende unseres Gesprächs beten wir miteinander, der alte Mann und ich. Wir bringen das Erlebte und die alten Wunden vor Gott. Wir sprechen vor Gott die Träume von damals aus und die Überforderung des 17jährigen. Und bitten Gott darum, dass er ihn versteht und ihm heute einen Schlaf schenkt ohne Alpträume.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20482
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