SWR2 Wort zum Tag

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Ferienzeit, das ist für mich immer auch eine Zeit zum Lesen. In diesem Sommer hatte ich mir das Buch des Kulturphilosophen Ralf Konersmann eingepackt. Schon den Titel fand ich faszinierend: „Die Unruhe der Welt“.
Die Unruhe kenne ich von mir selbst. Spätestens dann, wenn die großen Ferien beginnen, und sich bei mir die Lust einstellt, den Alltag zu verlassen und eine Reise zu beginnen. Die Unruhe setzt sich fort auf Autobahnen und Flughäfen, wenn Millionen Urlauber in alle Himmelsrichtungen aufbrechen. Die Unruhe treffe ich sogar noch am Ziel der Reise - als Wunsch, möglichst viel zu sehen und darum bloß nicht allzu lange an einer Stelle zu verweilen.
Ralf Konersmann allerdings geht weit über diese Beobachtungen hinaus. Er diagnostiziert die Unruhe als überwältigende Normalität in allen Lebensbereichen. Und fragt: Wie kommt das? Wie haben wir gelernt die Unruhe zu lieben? Woher die ganz normale Unersättlichkeit des Vorwärtsdrängens, Änderns, Umstellens? Wie sind wir dazu gekommen, die Welt, die wir haben, geringer zu schätzen als die möglichen Welten, die wir nicht haben?
Sein Buch ist eine Spurensuche, wie die Unruhe in die Welt kam. Allerdings ganz ohne kulturkritisches Lamento.
Es will nachdenklich machen, indem es einen langen geschichtlichen Prozess beschreibt. Im Laufe dieses Prozesse ist im Bereich der westlichen Zivilisation ein grundsätzlicher Wandel eingetreten.
Denn am Anfang stand ja etwas anderes: standen Zeiten, in denen die Ruhe, die Muße, das Genügen als Ideal galten. Noch heute sprechen wir von paradiesischer Ruhe. Und tatsächlich erzählt der biblische Schöpfungsmythos davon, dass der Gipfelpunkt göttlichen Schaffens, die Vollendung der Welt, in der Ruhe, liegt.
Am siebenten Tag setzt Gott der Schöpfung das i-Tüpfelchen auf. Nicht indem er noch etwas Neues, besonders Tolles kreiert. Sondern indem er der Welt die Ruhe schenkt.
Ein Geschenk übrigens, an das sich Juden wie Christen einmal wöchentlich erinnern. Indem sie Sabbat oder Sonntag feiern, um - mit dem Kulturphilosoph Konersmann zu sprechen - von der „überwältigenden Normalität der Unruhe“ Abstand zu nehmen.
Paradoxerweise hat mir die Lektüre seines Buches über die Unruhe Ruhe geschenkt. Und es regt mich an, auch weiter nach den Zeiten und Orten zu suchen, wo Ruhe auch in einer unruhigen Welt zu finden ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20468
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