SWR2 Wort zum Tag

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Wen Gott liebt, den züchtigt er. Ein Satz aus der Bibel, an dem ich mich immer wieder stoße. Er paßt nicht zu meinem Bild von Gott und nicht zu meiner Vorstellung von Liebe. Züchtigen – da denke ich an Schlagen, mit Absicht Schmerzen zufügen.
Der Satz steht ursprünglich im Alten Testament, im Buch der Sprüche. Da sind vor allem gängige Lebensweisheiten gesammelt, aus dem Alltag. Zu einem Buch zusammengestellt wurden sie wahrscheinlich zwischen 500 und 200 vor Christus, von Leuten, die hauptsächlich erziehen wollten. So kommt es auch, daß sie Gott mit einem Vater vergleichen und die Menschen mit einem Sohn. Und was tut ein Vater? Er erzieht. Damit der Sohn fürs Leben taugt. Und da fängt die Schwierigkeit für uns Heutige an. Daß die meisten Väter - und Mütter – heute ihre Kinder absolut nicht mehr schlagen wollen. Gott sei Dank. Denn dieses „wen Gott liebt, den züchtigt er, wie ein Vater seinen Sohn, den er gern hat“ ist schrecklich mißbraucht worden. Pädagogisch in Familien und Internaten und auch religiös, um Menschen die Klage über ihr Leiden zu verbieten. Wie mancher hat schon in bitterem Humor gesagt: Ach wenn Gott mich doch etwas weniger gern hätte!
Der Satz vom Züchtigen aus Liebe steht in der Bibel, ja. Aber er kommt aus einer andern Lebenswelt. Aus andern Familienbeziehungen. Züchtigen, schlagen, die Rute geben – wir müssen das heute nicht mehr gut finden, dürfen – ich finde sogar wir müssen - es ablehnen. Im Verhältnis Vater-Sohn und auch in unserer Beziehung zu Gott.
In dem Satz steckt aber auch eine Erfahrung, die ich nicht so leicht abtun möchte: die Erfahrung, daß intensive Beziehungen nicht völlig schmerzfrei sind. Daß wir einander tatsächlich in Liebe, vielleicht sogar aus Liebe, Schmerz bereiten. Eltern, die ihre Kinder lieben, können nicht anders, als ihnen auch etwas zuzumuten. Nicht, indem sie ihnen extra Schmerz zufügen. Aber indem sie ihnen Widerstand entgegenbringen. Das fällt ja oft den Eltern selbst nicht leicht. Aber Menschen wachsen am Widerstand. Brauchen Widerstand, um zu wachsen. Natürlich darf ich auch diese Gedanken nur in aller Vorsicht auf das Verhältnis Gottes zu uns Menschen übertragen. Aber soviel läßt sich sagen: wenn wir Schmerz erleben, wenn wir leiden, dann ist dies weder ein Hinweis auf einen grausamen Gott noch auf einen fernen Gott. Wer intensiv lebt, im Glück und im Schmerz, ist vielleicht gerade in einer intensiven Beziehung mit Gott.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=2035
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