Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Von der Evolution her gesehen ist der Mensch die Krone der Schöpfung. Unter allen Wesen hat der Mensch das komplexeste Gehirn, kann sprechen, kann schreiben und lesen lernen und sich Gedanken über sein Dasein machen. Und der Mensch kann Handlungen abwägen und sogar Fehler einsehen. Grundsätzlich kann er Impulse kontrollieren und sich gegebenenfalls auch verändern. So reich und differenziert ausgestattet ist der Mensch wirklich ein Wunderwesen und trägt die zugedachte Krone zu Recht. Und christlich gesehen wird dem Menschen noch eine besondere Würde zugedacht: Jeder Mensch ist ein von Gott geliebter Mensch.

Manchmal ist es mit der Krone der Schöpfung allerdings nicht so weit her! Meine Bewunderung hält sich in Grenzen, wenn am frühen Morgen eine Gruppe Betrunkener vor meinem Fenster lärmend auf den ersten Bus wartet. Wenn im Kino viele der Besucher ihren Müll einfach nur auf den Boden werfen. Fühlen sie sich als eine bessere Krone der Schöpfung, dass sie anderen Menschen ohne schlechtes Gewissen ihren Dreck zumuten? Oder warum jagt mich einer per Lichthupe und gefährlich nahem Auffahren von der Autobahn-Spur, obwohl ich die Baustelle wie vorgeschrieben passiere? Und was soll ich von mir selbst halten, wenn mich dann als Antwort doch ziemlich niedere Instinkte überfallen? Wer kann schon von sich sagen, dass er oder sie sich immer vorbildlich verhält? Gibt es jemanden, der immer nur gute Gedanken über andere denkt? Dass es überall menschelt, ist kein Geheimnis. Die Krone der Schöpfung ist nämlich ziemlich entwicklungsbedürftig. Sie hat lebenslänglich eine Menge Nachhilfeunterricht nötig – denn sie benimmt sich leider oft nicht gerade königlich.

Bei mir ist das so: Manchmal brauche ich großen Nachhilfeunterricht. Dann stutzen mich Angehörige, Kollegen oder Freundinnen zurecht. Manchmal übernimmt das Leben selbst die Nachhilfe. Indem ich an Grenzen stoße und mich in Situationen zurechtfinden muss, die mir gar nicht behagen.  Und dann gibt es noch die täglichen kleinen Übungen. Damit beginne ich jeden Morgen. Da bitte ich schon im Voraus um Kraft und Einsicht. Denn ich möchte immer mehr lernen, mich als von Gott geliebter Mensch zu spüren – und auch so zu verhalten.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20293
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