SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Sich mit dem Thema „Weisheit“ zu beschäftigen scheint uferlos zu sein. Sie ist nicht zu fassen, sie entzieht sich jedem menschlichen  Zugriff. Der Ursprung der Weisheit ist und bleibt rätselhaft. So stellt die Bibel nüchtern fest: „Verhüllt ist sie vor den Augen aller Lebenden … Unser Ohr vernahm von ihr nur ein Raunen.“ (Ijob 28,21-23) Dann lesen wir aber auch das: Der Weisheit ist es „eine Freude, bei den Menschen zu sein.“ (Sprichwörter 8,31) Ein alttestamentlicher Beter bringt sogar Gott ins Spiel: „Das Ungewisse und Verborgene der Weisheit hast du mir offenbart!“ (Psalm 51,8) 

Doch um was geht es da? – Wie ich das sehe, sind das Beobachtungen und Erfahrungen, über lange Zeit dem Leben abgeguckt. Ein paar Kostproben aus der Bibel: „In eine Seele, die auf Böses sinnt, kehrt die Weisheit nicht ein.“ Oder: „Die Weisheit ist ein menschenfreundlicher Geist.“ (Weisheit 1,4.6) Gelassen und heiter klingt das: „Ein fröhliches Herz macht das Gesicht heiter, Kummer im Herzen bedrückt das Gemüt.“ (Sprichwörter 15,13) Ähnlich klingt das: „Herzensfreude ist Leben für den Menschen, Frohsinn verlängert ihm die Tage. Neid und Ärger verkürzen das Leben, Kummer macht vorzeitig alt.“ (Jesus Sirach 30,22.24) Die meisten dieser Zitate stammen aus dem alttestamentlichen Buch Jesus Sirach. 

Man kann auch sagen: Die Lebensweisheit besteht darin, im Alltäglichen das Kostbare, das Wunderbare zu sehen. Und wer sich darum bemüht – so verstehe ich die Bibel – der hat Gott auf seiner Seite.

Interessant ist: Die Bibel hat eine lange Weisheitstradition und eine beachtliche Weisheitsliteratur (v.a. die Bücher Ijob, Sprichwörter, Kohelet, Hohelied, Weisheit, Jesus Sirach). Das teilt sie mit den Traditionen aller anderen Religionen und Kulturen. Die Weisheit ist gewissermaßen interkulturell und interreligiös verankert.

Für mich heißt das: So unterschiedlich die religiösen Traditionen, Vorstellungen und Mentalitäten auch sind – so unterschiedlich sind die Menschen gar nicht in dem, wonach sie sich sehnen: nach Glück und Frieden, nach einem gelingenden Leben. Für mich heißt das auch: Alles, was trennt und zerstört, haben verwirrte und fanatische Kräfte den Menschen eingetrichtert. Alles hingegen, was Menschen eint, was menschendienlich und menschenfreundlich ist, kann sich guten Gewissens auf Gott berufen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20234
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