SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Zweimal war ich in diesem Jahr schon auf Silberhochzeitsfeiern. Beide sehr schön, sehr festlich, mit Gottesdienst und allem drum und dran. Aber was feiert man eigentlich, wenn man den Hochzeitstag feiert, den silbernen, goldenen, diamantenen? Bei der Hochzeit ist das noch relativ klar: man feiert, weil man glaubt den Menschen gefunden zu haben, der zu einem passt. Den man liebt, mit dem man leben möchte. Aber was feiert man an den anderen Hochzeitstagen? Die pure Zeit, die man miteinander verbracht hat? Die Zeit vergeht, sie weiß es nicht besser. Das kann es also doch nicht sein, zumal es ja nicht unwichtig ist, wie die Zeit verbracht wurde. Aber da wird, weil`s ja ein Fest ist, nicht mehr so genau hingeschaut, da heißt es dann nur noch: Es war auch nicht immer leicht. Wir haben uns immer wieder zusammengerauft.
Oder feiert man die Liebe, die alles erträgt, alles glaubt, alles duldet und nimmer aufhört? Wer weiß. Denn da ist selbst der 25 Jahrestag noch ein wenig zu früh. Scheidung danach ist ja nicht ausgeschlossen. Oder feiert man die Vernunft, die einen davon abhielt, sich zu trennen? Dass man es 25 Jahre miteinander ausgehalten hat, will ja an sich nichts beweisen. Vielleicht war es nur die Angst vor der Trennung, die Mutlosigkeit. Für manche Paare ist es sicher auch ein Segen, dass sie sich weit vor der magischen Silbergrenze getrennt haben.
Für alle aber, die noch auf dem Weg sind , hier ein wunderbarer Ratschlag, wie man das Ziel erreicht. Ein Ratschlag für Mann und Frau von Robert Walser. „Will eine feine Frau man sein, so darf man nicht ermatten, Mitleid zu haben mit dem Gatten. Man muss ihn schätzen einerlei, ob Sonnenschein sein Wesen sei, ob Schatten. Will man ein artig Männlein sein, so muss man seine Gattin loben, und sei sie noch so sehr verschroben.  Gleichviel, ob Mann ob Frau man heißt, wer, was ihm nahsteht, runterreißt, dem fehlt`s im Oberstübchen oben.“
Meine Silberhochzeit liegt nun schon über zehn Jahre hinter mir. Und ich bin einfach nur dankbar, morgens neben dem Menschen aufzuwachen, der mich nicht runterreißt, auch wenn in manchen Dingen verschroben bin. Ich bin dankbar für die Nachsicht und das Vergessen. Mitleid haben mit dem anderen, ihn loben, ihn schätzen  und ihn nicht „runterreißen“ – damit kommt man schon ziemlich weit in der Ehe. Vielleicht sogar bis zur Goldenen Hochzeit und noch weiter.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20228
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