SWR3 Gedanken

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Mittagszeit. Hastig klettern die beiden jungen Männer am Stacheldrahtzaun hoch. Heimlich, doch sie werden entdeckt. Die Grenzschützer schießen ohne jede Vorwarnung. Der eine hat Glück und kann die Berliner Mauer überwinden. Der andere wird getroffen. Auf Ost-Berliner Gebiet bleibt er liegen. Bewegungsunfähig. Laut schreit er um Hilfe. Westberliner Polizisten werfen ihm Verbandspäckchen zu. Doch der 18 Jährige kann sich nicht selbst helfen. Er verblutet an der Mauer.
Das war am 18. August 1962. Peter Fechtner stirbt mitten in Berlin, an der innerdeutschen Grenze.  – Erschossen wegen Republikflucht.
53 Jahre ist das her. Die Mauer gibt es nicht mehr. Und auch die Zweiteilung Deutschlands gehört der Vergangenheit an. Trotzdem ist es mir wichtig, an diesen Teil unserer Geschichte zu erinnern. Sich bewusst zu machen, immer wieder, was Mauern anrichten können.
Die gibt es ja auch heute. An den Außengrenzen der europäischen Staaten. Die EU riegelt sich ab. Zwar ohne Schießbefehl wie damals in der DDR. Aber auch so sterben Tausende, jedes Jahr, bei ihrem Versuch, Europa zu erreichen.
Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien oder dem Irak – sie haben gar keine Chance, legal ihr Grundrecht auf Asyl wahrzunehmen. Ohne Schleuser und Schlepper kommen sie nicht an. Das ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. So wie die Schüsse an der innerdeutschen Grenze damals.
Ich werde an der Stelle nicht müde, die Bibel zu zitieren. Sie sagt: „Einen Fremdling sollst du nicht bedrücken noch bedrängen. Ihr wisst, wie dem Fremdling zumute ist.“ (2. Mose 23,9).
Viele von uns waren während und nach dem letzten Krieg Flüchtlinge. Trotzdem – Wissen wir, wie dem Fremdling heute zumute ist? Wollen wir das wissen?

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20219
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