Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Den Spaziergang am Sonntag. Gibt es den eigentlich noch?
Den guten alten Sonntagsspaziergang ?
In meiner Kindheit war er ein unverzichtbares Ritual eines jeden Sonntages.
Zwischen Mittagessen und Kaffeezeit wurden wir alle in Reih und Glied aufgestellt und dann gings ab zum Spaziergang. Zur Geschwindigkeitsbegrenzung hatte man uns extra in sehr saubere Sonntagskleider gepackt. Dabei waren die Schuhe das Schlimmste.
Die konnte man mit Fug und Recht als komplett gelungene Weglaufsperren bezeichnen.
Denn sie passten eben so schlecht und drückten dermaßen, dass wir -Schmerz lass nach –nur ganz vorsichtig vor uns hin geschlichen sind.
Das Tempo eines Sonntagsspaziergangs war im Grunde nicht wirklich messbar, weil es lag nahe bei Null, es war gerade mal so viel, dass wir nicht ganz stehen blieben, aber auch kaum vorwärts kamen.
Eine ausgesprochen anspruchsvolle Bewegungsform, die zwar als spezielle Disziplin nie olympisch geworden ist, aber äußerst athletische Fähigkeiten voraussetzt.
Die Erwachsenen haben sich dabei angeregt unterhalten, mit gleichzeitiger Bestandsaufnahme von dem, was wuchs in Feld, Wald und Flur.
Uns Kindern wurde ein ums andre Mal eine Rast in einem nahe gelegenen Gasthaus mit Limonade und Salzstängelchen versprochen, was selten wirklich zustande kam, weil wir einfach zu langsam waren, um jemals irgendwo hinzukommen, wollten wir vor Einbruch der Dunkelheit wieder zuhause sein, wo der Sonntagskuchen samt Bohnenkaffee auf uns wartete.
Ich habe lange Zeit gedacht, diese originelle Form der menschlichen Fortbewegung sei längst ausgestorben. Immer habe ich nur Leute davon rennen und hetzen gesehen, so als seien sie auf der Flucht.
Aber zu meiner großen Überraschung habe ich sie wiedergefunden. Die Sonntagnachmittagspazierflanierbewegung. Und zwar ist mir die Entdeckung der Langsamkeit gelungen auf der Landesgartenschau in Landau.
Da sehe ich fast täglich Menschen, die verweilen und nicht eilen. Ich bin ja so dankbar, dass es das tatsächlich noch gibt. Diese Gangart des Sonntagnachmittagspazierens im Gänsemarsch, entschleunigt und entspannt.
Wir können es also noch, wir haben das Talent noch nicht verloren. Es gibt sie noch diese ruhevolle Art und Weise, sich verweilend umzusehen. Und der Sonntag ist und bleibt dafür der beste Trainingstag der ganzen Woche.
Probieren Sie es doch heute mal wieder vorsichtig aus. Es wird Ihnen mehr gut als wehtun, zumal es diese unbequemen Sonntagsschuhe eh nicht mehr gibt. Sonntagstempomat mit stabiler Langsamkeit. Eile mit Weile.
Und sagen Sie: „Grüß Gott!“, wenn Sie ihn sehen…

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