SWR2 Wort zum Tag

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„Glauben Sie nicht was Sie sehen, glauben Sie nicht den Bildern.“ So der Rat einer Zeitung vor ein paar Tagen. Warum soll ich Bildern nicht mehr trauen, also eigentlich meinen Augen nicht mehr? War da nicht mal dieser Satz: Ich glaube nur, was ich sehe. Warum ist der falsch?
Weil viele Bildermacher die Wirklichkeit nicht abbilden, sondern verfälschen: Haut wird glatt retuschiert, Motive einmontiert. Bilder werden propagandistisch beschnitten, gestellt, sie vergöttern und dämonisieren.
Bilder haben Macht. Sie drücken sich ein in mein Denken und Fühlen. Sie bestimmen, wem ich vertraue, wie ich handle. Darum: Glauben Sie nicht, was Sie sehen. Nicht in digitalen Zeiten.
Aber ist das wirklich neu? Dass Bilder Wirklichkeit prägen, auch verfälschen?
Ich glaube nicht. Mir ist das deutlich geworden, als ich wieder auf „Adam“ in der Bibel gestoßen bin.
„Adam“: Ein Wort, ein Name und sofort auch ein Bild. Michelangelos Fresko in der Sixtinischen Kapelle: Der mächtige Arm des Schöpfers, der den Finger Adams berührt. Adam = Mensch = Mann sagt das Bild. So hat Michelangelo die endgültige Ikone geschaffen. So werden seit Jahrhunderten Gott und Mensch gesehen. Die Welt ist Männersache. Mann-Gott und Mann-Mensch.
Nein, Bilder sind keine neue, sie sind eine sehr alte Macht.
Der Haken: In der Bibel sieht das anders aus als bei Michelangelo. Sie denkt auch patriarchalisch. Aber die Worte, sind komplexer, offener, nicht so eindeutig wie das Bild.
Nah am Hebräischen Wortlaut, heißt es etwa so: „Und Gott schuf Adam in sein Bild, in sein Bild schuf er ihn, schuf sie, männlich und weiblich.“
Komplex sind vor allem zwei Stellen: Das Wort für Gott ist ein Plural. Also nicht „ein Mann“. Und genauso komplex ist die Menschenschöpfung: Erst: „Gott schuf ihn“, und sofort wird nachgelegt, er schuf sie, männlich und weiblich.‘ Adam ist weiblich und männlich.
Michelangelos Fresko zeigt, wie machtvoll man diese komplexen Worte übermalt hat. Ihre feine und kluge Komplexität eindeutig gemacht und verfälscht. Gott zum Mann vereinheitlicht und die „weibliche“ Adam verschwinden lassen.
„Glauben Sie nicht, was Sie sehen.“ Dieser Rat muss nicht neu erfunden werden. Aber immer wieder neu beherzigt und geübt:
- Die Wirklichkeit ist komplexer als die Bilder von ihr, die mich prägen sollen.
- Menschsein erfüllt sich erst wirklich, wenn ich andere finde. Auch das andere Geschlecht.
- Und Gott? Von ihm oder ihr sagt die Bibel: „Gott bin ich, nicht Mann, nicht Frau. Lebendig. In und von mir ist alles, was lebt.“ (Hos 11,9)

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