SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

„Wohin geht’s?“ – diese Frage braucht man auf dem Jakobsweg niemandem zu stellen. Klar, es geht nach Compostella. „Wer bist Du?“ oder auch „was machst Du?“ – diese Fragen erübrigen sich ebenfalls. Auf dem Jakobsweg wirst du wie alle anderen zu einem einfachen Pilger. Du schnürst jeden Morgen dein Päckchen und marschierst weiter. DIE Frage, die sich Pilger auf dem Jakobsweg stellen, ist die: „Wo bist Du losgelaufen?“ Diese Frage ist die Messlatte, an der Antwort kann man erkennen, wen man vor sich hat.
Ist der Pilger 100 km vor Santiago de Compostella losgelaufen, weiß man gleich: der hier ist nur scharf auf die Urkunde. Denn 100 km sind das Minimum, das man absolvieren muss, um diese berühmte Urkunde compostela zu bekommen, die auf Latein dem Herrgott und aller Welt zeigt: ja, man ist gepilgert. Die „wahren“ Pilger begegnen diesen „Urkundenjägern“ nur mit Verachtung. Denn nur diejenigen sind anerkannter Teil der Weggefährten, die einen der großen Wege gegangen sind: die Pyrenäen gelten als allgemein akzeptierter Ausgangspunkt. Der Abenteuertyp nimmt den Küstenweg, der bodenständige Pilger den offiziellen camino.
Denn wenn man eins auf dem Jakobsweg lernt, dann ist es dieses: Das Wichtigste ist der Weg, nicht das Ziel. Ein kurzes Stückchen Weg reicht nicht aus, um seine Gewohnheiten in Frage zu stellen. Ein kurzes Stückchen Weg verändert den Menschen nicht. Der Stein der Gewohnheiten bleibt roh und unbehauen. Um diesen inneren Stein zu bearbeiten, braucht es einen langen Atem, Kälte und Matsch, Hunger und wenig Schlaf.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20170
weiterlesen...