SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Das Ziel ist erreicht. Nach ungefähr tausend Kilometern Jakobsweg ist es da: Santiago de Compostela. Die Größe und die Schönheit der Stadt verdrängt die Erinnerung an den Weg. Körper und Geist sind zurück in der Zivilisation: ich flaniere durch die kleinen Gässchen und ehe man es sich versieht, kaufe ich doch glatt eins dieser kleinen Andenken in den Souvenirläden –  obwohl ich mir auf dem Weg geschworen habe, nie mehr unnützes Zeug mit mir rumzuschleppen.
Dann steige ich ins Flugzeug und in wenigen Stunden bin ich wieder in Stuttgart. Auf dem Jakobsweg hatte ich mir gesagt: wenn immer du in ein Auto, in die Bahn, in ein Flugzeug steigst: denk immer an die, die zu Fuß gehen. Aber kaum sitze ich hinterm Steuer, sind alle Vorsätze dahin.
Aber es gibt Erfahrungen auf dem Jakobsweg, die wirken weiter. Für mich ist es die „Philosophie des Rucksackes“. Ich nenne das mal so. Das jedenfalls habe ich vom Jakobsweg mit in meinen Alltag rübergerettet: ich überlege mir: wovor hast du Angst? was schleppst du im wahrsten Sinne des Wortes auf deinem Rücken? Und dann schmeiße ich alles raus, was mir mein Leben eng macht. Ich versuche, mein Leben leichter zu machen.
Ich verschenke zum Beispiel alles Überflüssige, die Saftpresse aus der Küche, die ich noch nie benutzt habe, oder die schicken grünen Schuhe, die ich irgendwann einmal gekauft und nie angezogen habe. Ich versuche konzentrierter, eins nach dem anderen zu machen und nicht tausend Dinge gleichzeitig. Aber vor allem versuche ich, mich nicht mehr verrückt zu machen - auf alle einzugehen, die mir Ratschläge geben wollen. Sollen die doch reden. Und siehe da - der Rucksack meines Lebens lässt sich viel leichter tragen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20166
weiterlesen...