Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Festung Europa. Mit diesem Begriff kritisieren Journalisten die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union. Nach ihrer Ansicht schottet sich Europa an seinen Außengrenzen durch Vereinbarungen und Grenzkontrollen ab. Es will die Flüchtlingsströme aus Afrika und dem Nahen Osten wie an einer Mauer zum Stehen zu bringen und die Flüchtlinge aus dem Inneren Europas herauszuhalten.

Auf den ersten Blick ist es ein Bild der Stärke. Festungen signalisieren massiven Widerstand und Sicherheit. Auf den zweiten Blick macht die geschichtliche Erfahrung mit Festungen und Burgen nachdenklich. Ob es die Burgen am Rhein waren, befestigte Städte oder die Festungen der großen Kriege: Irgendwann wurde jede Festung gestürmt - oder bedeutungslos. Und wo sie mit Gewalt genommen wurden, war dies in der Regel mit großem Elend und Leid verbunden. Die Sicherheit von Festungen ist trügerisch und ihre Kosten sind immens hoch.

Umgekehrt zeigt eine andere historische Erfahrung: Da wo die Festungen geschleift, die Mauern eingerissen und die Gräben gefüllt wurden, da konnten sich Städte und Gemeinwesen entfalten, da konnten sie wachsen und sich entwickeln.

Das alles gilt vielleicht auch für die Festung Europa: Wenn die Festung sowieso irgendwann fällt – sollten wir dann nicht unsere Energie darauf verwenden, sie überflüssig zu machen? Statt sie mit viel Aufwand weiter zu verstärken? Noch können wir uns für eine Welt- und Wirtschaftsordnung einsetzen, die mehr Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität möglich macht – gerade auch in den Herkunftsländern der Flüchtlinge. Und so Fluchtgründe reduziert. Noch können wir die politische Energie statt auf den politischen Festungsbau auf humanitäre Ziele lenken.

Die Flüchtlinge lassen sich durch keine Mauer oder Festung aufhalten, das erleben wir täglich. Ihre Not ist größer als Gräben tief und Mauern hoch sein können. Umgekehrt hatte Europa immer dann seine große Zeit, wenn es sich nicht abschottete, sondern im weltweiten Austausch stand. Das muss keinen ungeregelten Zugang bedeuten. Aber Festungsdenken ist in jeder Hinsicht überholt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20063
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