SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Jeder Mensch ist Gottes Ebenbild. Sagt die Bibel. Deshalb müssen wir aufeinander aufpassen. Genau gesagt: wir müssen auf unsere Würde aufpassen. Dürfen sie nicht antasten. Aber wo steckt die Würde eigentlich? Wo begegne ich ihr? Das hab ich durch Paula gelernt.
Paula ist erst zwei Jahre alt und kann noch keine Sätze sprechen. Aber sie klettert überall hoch, wo ihre Händchen sich festhalten können. Sie springt quietschend von dort oben in meine Arme und sie besteht auf Nudeln zum Mittagessen, ohne Spargel bitte. Nach dem Essen liegt sie dann im Kinderwagen und dämmert selig hinüber ins Mittagsschläfchen.
Ich kann mich gar nicht satt sehen an ihrem Gesicht, wenn sie schläft. Wie ein Engelchen die geschlossenen Augen, das Stupsnäschen und die blonden Strähnchen, vom Schwitzen verklebt. Wie sie da liegt mit nackten Beinchen, das Kleidchen zerknautscht.
Irgendwann entdecke ich einen dunklen Fleck auf dem Polster. Der Fleck breitet sich aus, als wäre irgendwo Wasser ausgelaufen. Aber es ist keine offene Wasserflasche. Ich habe vergessen, ihr vor dem Schlafen eine Windel anzuziehen. Und so liegt Paula selig schlummernd in einer riesigen, warmen Pfütze. Was tun?
Während ich nachdenke, wacht Paula auf, nimmt ein Tuch und zieht es sich über den Kopf. Ich hebe das Tuch ein wenig hoch, aber Paula zerrt es an sich und verschwindet vollständig darunter. Paula schämt sich. Mit ihren zwei Jährchen schämt sie sich. Und weiß nicht, wie sie ihr inneres Gleichgewicht, ihre Würde bewahren kann.
„Hallo“ flüstere ich durch das Tuch „Es tut mir wirklich leid. Aber - ich hab vergessen, dir eine Windel anzuziehen.“- Paula linst mit einem Auge unter dem Tuch vor, sieht meine Sorgenfalte auf der Stirn und hört mich fragen: „Was meinst du- wollen wir was Trockenes anziehen?“- „Jaaa!“ ruft sie, wirft das Tuch zur Seite und strahlt.
Ja, Paula ist Gottes Ebenbild- wie wir alle. Und unsere Würde ist es wert, dass wir auf sie aufpassen.

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