Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Er ist alt geworden: Anton. Seine Bewegungen sind langsam und er geht nur noch in kleinen Trippelschritten. Ich treffe ihn beim Metzger. „Wie heißt Du noch mal?“ ist sein erster Satz. Ich nenne meinen Namen und schon fällt ihm alles wieder ein. Was wir früher so zusammen gemacht haben. Ich als junger Theologe und er als Mann im Pfarrgemeinderat. Seine Augen fangen an zu leuchten. Wir scherzen miteinander und machen kleine Rededuelle wie vor 20 Jahren. Damals war er ein rüstiger Jungrentner, ohne die in der Kirche ja nichts läuft. Ein Ehrenamtlicher der einfach anpackte, wo er gebraucht wurde. Jetzt ist er alt, kennt mich noch, aber mein Name fällt ihm nicht mehr ein, zumindest nicht direkt. Nun ja, er geht auf die Neunzig zu und dann ist das wohl in Ordnung. „Ich mache  jeden Tag meine Runde“, erzählt er mir. „Dreimal die Woche hole ich mir mein  Essen beim Metzger und mache es zu hause warm. Denn richtig kochen habe ich nie gekonnt. Ich lasse noch das Wasser anbrennen“, meint er scherzhaft.  Fürs Kochen war immer seine Frau zuständig. Die ist zwar schon über zehn Jahre tot, aber da ist er konsequent: Kochen kann er nicht. Die restlichen Tage in der Woche geht er „raus essen“. Und sonntags geht’s dann zum Mittagessen zur Tochter. Die wohnt am Stadtrand. Dafür nimmt er den Bus und ist ganz stolz, dass er das immer noch schafft. Hauptsache jeden Tag mal raus und eine Runde machen.

Die Begegnung mit Anton macht mich nachdenklich. Wo werde ich in 20, 30 Jahren meine Runde machen? Und vor allem wie? Werden mich meine Beine noch tragen, werden meine Augen noch leuchten? Werde ich beim Metzger noch Leute treffen, die ich von früher kannte? Ich weiß es nicht. Und ich weiß auch nicht, ob es viel Sinn macht, sich darüber Gedanken zu machen was in 20 Jahren ist. Aber für heute kann ich mal wieder zum Metzger gehen und schauen, ob Anton da ist.

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