SWR2 Wort zum Tag

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Gerade nach den Ferien wird wieder einmal klar: Es gibt keine weißen Flecken auf der Landkarte mehr. Überall kommt der Mensch hin, meist pauschal und all-inklusive. Mittlerweile liegen selbst auf den höchsten Bergen Gipfelbücher aus, in den hintersten Ecken der Wälder sind Wegweiser angebracht und jede größere Höhle ausgeleuchtet und mit Führern zu begehen.
Da scheint es auf den ersten Blick nicht mehr als ein religiöser Witz zu sein, wenn es in einem Psalm, einem alten Gebet der Bibel, heißt: „In Gottes Hand sind die Tiefen der Erde, und die Höhen der Berge sind auch sein.“ (Psalm 95,4)
Denn es lässt sich tagtäglich erfahren: Nicht Gott, der Mensch hat sich der Welt bemächtigt. Seinem Zugriff scheint sich nichts zu entziehen. Der Mensch hat im 21. Jahrhundert buchstäblich die Macht über die Welt an sich gerissen.
Aber genau betrachtet entlarvt sich diese Macht immer wieder als begrenzt. Sicher: Wir kommen überall hin auf dieser Welt, wir erschließen uns jeden Berg und jedes Tal. Aber trotzdem bleibt diese menschliche Macht Stückwerk. Beim Wachsen von Kindern, beim Altern und Sterben, in der Liebe oder beim Erwachsen-Werden – überall da erleben Menschen Ohnmacht. Genauso ist es mit der Natur: Jede Lawine, jedes Seebeben macht deutlich, dass wir die Natur nicht beherrschen. Auf diese Erkenntnis können wir unterschiedlich reagieren: gekränkt, wütend, niedergeschlagen, mit lautstarkem Protest oder mit Erfindergeist.
In der Bibel finde ich eine andere Reaktion. Da gibt es die Geschichte von dem Synagogenvorsteher Jairus. Seine Tochter liegt „in den letzten Zügen“, wie es im Markusevangelium heißt. (Markus 5,23). Deshalb bittet er Jesus: „Komm doch und lege deine Hände auf sie, damit sie gesund werde und lebe.“ Jairus weiß, dass er nichts tun kann, dass er machtlos ist. Aber er fügt sich nicht einfach in das Schicksal. Er wendet sich Jesus, wendet sich Gott zu. In der Bibel geht das gut aus. Die Tochter lebt. Happy-End. Leider geht das nicht immer so. Schicksalsschläge, Unfälle, Krankheit und Tod gehören zum Leben dazu. Gerade deshalb imponiert mir das Vertrauen des Jairus. Sein Verhalten sagt mir: In Gottes Hand zu sein, das heißt gehalten und getragen zu werden – auch in der Ohnmacht. Manchmal wendet sich dann das Blatt, manchmal auch nicht. Aber immer darf ich mich getragen fühlen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=1998
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