SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Das Böse im Guten“. Der Titel des „Spiegel“ vor wenigen Wochen sprang mir ins Auge. Machte mich neugierig. Und ich fand einen interessanten Artikel über die biologischen Wurzeln des moralischen Handelns. Menschen, so die These, lernen zwar moralisches Handeln. Aber sie besitzen auch, das zumindest behaupten Biologen und Neurologen, eine Art angeborenen Moralsinn. Eine ziemlich gewagte These. Bisher lassen sich nämlich Ursache und Wirkung des moralischen Handelns nicht klären. Also: Handle ich moralisch, weil es mir angeboren ist? Handle ich moralisch, weil ich Moral – auch schon als ganz kleines Kind – gelernt habe? Oder handle ich moralisch, weil ich eine bewusste Entscheidung fälle und diese dann umsetze?
Wichtig ist: Selbst wenn es den angeborenen Moralsinn gibt – er kann mir auch nicht sagen, wie ich mich in einem konkreten Fall verhalten soll. Unsere gesellschaftlichen Regeln, unsere Normen und Gesetze zeigen das deutlich. Und jeder kleine Streit – sei es zwischen Kindern oder Erwachsenen.
Also: Was ist richtig oder falsch? Was mich lange nach der Lektüre des Spiegel-Artikels beschäftigte, war ein Foto, das diesen Bericht illustrierte. Es zeigt zwei Männer mit Maschinengewehren. Sie zielen auf einen dritten, vermummten und offensichtlich gefesselten Mann, der am Boden liegt. Um ihn herum scheinen Kugeln den Sand aufzupeitschen. Die Unterzeile gab Aufschluss: „Exekution eines angeblichen Verräters durch militante Palästinenser“.
Ein verstörendes Bild. Sicher: Gewaltdarstellungen sind mittlerweile scheinbar selbstverständlich. In der Zeitung, im Fernsehen, im Kino, im Internet. Selbst Nachrichten zur besten Sendezeit dokumentieren bildreich die Brutalität von Kriegen, Bürgerkriegen und Gewaltverbrechen. Trotzdem hat mich das Bild beschäftigt. Ob es abschreckende Wirkung hat? Ich glaube nicht. Ich glaube vielmehr, dass im Letzten die Darstellung von Gewalt vor allem der Gewalt Recht gibt. Ich halte es für falsch, ein solches Bild abzudrucken – schon gar als bloße Illustration für unmoralisches Verhalten.
Ich weiß, dass die Meinung darüber geteilt ist. Das belegt aber auch: Moral ist nichts, was immer eindeutig wäre. Egal ob sie angeboren, anerzogen oder Ausdruck vernünftigen Denkens ist.
Moral ist deshalb nicht einfach nur die Summe von Regeln, Verboten und Geboten, sondern vor allem ein Mittel, sich über das Gute und Richtige zu verständigen. In ein Gespräch zu treten. Und herauszubekommen, was allen gut tut.
Thomas Weißer, Mainz, Katholische Kirche.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=1997
weiterlesen...