SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Auf dem Platz vor dem Brandenburger Tor steht gerade ein riesiges Foto. Es ist vor 70 Jahren aufgenommen und zeigt eben diesen Platz im Mai 1945: Das Brandenburger Tor stark beschädigt, davor Trümmerberge. Auf dem Boden in einer Reihe liegen verletzte deutsche Soldaten. Junge Frauen kümmern sich um sie. Die jungen Leute schauen ernst. Ratlosigkeit steht in ihren Gesichtern, als würden sie fragen, wie soll es jetzt nur weitergehen? Der Krieg ist vorbei, es wird nicht mehr gekämpft, aber die Stadt liegt in Schutt und Asche. Ich frage mich, was in ihnen vorgegangen sein mag? Diese jungen Menschen hat der Krieg geprägt und sie haben seine Schrecken erlebt. Und bei den meisten kommt spätestens jetzt die bittere Erkenntnis, dass sie missbraucht worden sind, missbraucht für einen Krieg, der so viel Leid über die Menschen gebracht hat. Ob sie jemals wieder normal leben können? Was ist von ihren Träumen und Hoffnungen geblieben? Die Jugendzeit im Krieg - verlorene Zeit… Unwiederbringlich.
Aber jetzt könnte ein neues, glücklicheres Leben beginnen. Das haben sie bald begriffen und zugepackt. Dafür bewundere ich die Generation meiner Eltern.  

Ich habe meinen Vater gefragt, wie er das Ende des Krieges erlebt hat. Er war da gerademal 18 Jahre alt und kurz zuvor nach schlimmen Erlebnissen an der Front in russische Gefangenschaft geraten. Am Lager an der polnisch-russischen Grenze sind Züge mit jubelnden russischen Soldaten vorbei gerollt, zurück in ihre Heimat. Während ihm eine ungewisse Zeit in unbekannter Ferne bevor stand. Er sei so froh gewesen, diesen schrecklichen Krieg überlebt zu haben und deshalb habe er sich nicht unterkriegen lassen, seinen Glauben an das Leben, sein Gottvertrauen, nie ganz verloren. Selbst wenn seine Lage schlimm war, habe er immer wieder versucht etwas Positives zu sehen, das ihm Mut macht. So hat er als Kriegsgefangener versucht Russisch zu lernen um sich einigermaßen verständigen zu können. Und er hat Menschen kennengelernt, die ihm und seinen Kameraden zu essen gegeben haben und die sich für ihr Schicksal interessiert haben. 

Mein Vater sagt heute, dass seine Erfahrungen damals ihm auch später im Leben geholfen haben, wenn es mal schwierig geworden ist und er mit Schicksalsschlägen umgehen musste.
Als er 1949 nach Hause kam, hat er einen Beruf gelernt, zwar nicht seinen Traumberuf eines Försters, aber der Traum von einer Familie hat sich vier Jahre später erfüllt. Und seinen Kindern hat er seine Lebenseinstellung weitergegeben: Nach vorn schauen, versuchen Vergangenes aus der neuen Perspektive besser zu verstehen und daraus lernen. Auch aus negativen Erlebnissen lassen sich positive Schlüsse ziehen! Aber nicht zu lange am Vergangenen hängen bleiben, an Fragen, auf die man keine zufriedenstellende Antwort bekommt. Und an Erinnerungen, die einen allzu traurig machen. Weil man sonst vielleicht neue Möglichkeiten, neue Wege nicht wahrnehmen kann. 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19938
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