Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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"Mich wundert, warum die Kirchen nicht andauernd darauf aufmerksam machen, was Europa ohne die gewaltigen religiösen Schönheitsleistungen, etwa in Kunst und Architektur, wäre.“ Das hat der Schriftsteller Martin Walser vor kurzem gesagt. 
Ich bin an dem seltsamen Wort  „Schönheitsleistungen“ hängen geblieben. Was ist denn das eigentlich? Der Kölner Dom und das Straßburger Münster? Der Isenheimer Altar in Colmar  oder die Pieta von Michelangelo in Rom? Klar, das sind hervorragende Bauwerke, das ist ganz große Kunst. Das alles ist auch getragen von einem tiefen Glauben der Menschen, die es geschaffen haben. Und ich will das auch in keiner Weise klein reden.
Aber was die Menschen in Europa heute von den Kirchen und von den Christen brauchen, sind nicht in erster Linie schöne Gebäude und große Kunst.  Die „Schönheitsleistungen“ die heute nötig sind, sind bunte Farbkleckse im Einheitsgrau unserer Leistungsgesellschaft. Wir brauchen die hohe Kunst des  „anders seins“, wenn der Arbeitsmarkt und die Zwänge der Wirtschaft Menschen und Familien  nach ihren Maßstäben formen wollen. Wenn ein Vater sein Kind in den Arm nimmt und sagt: „ich liebe dich, trotz dem Mist, den du da gebaut hast.“ Das ist eine echte Schönheitsleistung  Schönheitsleistungen  können die Kirchen als Arbeitgeber erbringen, wenn sie z.B. familienfreundliche  Arbeitsbedingungen schaffen. Das können auch Christen als einzelne oder in Gruppen tun, wenn sie sich stark machen für Menschen,  die keine Lobby haben. Wenn ich z.B.  in einem Altenheim in  kirchlicher Trägerschaft spüre, dass der alte Mensch geachtet und liebevoll behandelt wird, dann ist das für mich eine echte  Schönheitsleistung. Die kann ich nicht fotografieren und finde sie in keinem Reiseführer, aber sie ist schöner als jeder gotische Dom und jedes kostbare Gemälde.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19920
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