SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Der Herr ist mein Hirte. Mir wird nichts mangeln …[1] Das ist wahrscheinlich eines der bekanntesten Gebete, die es gibt. Und auch ein sehr altes. Es findet sich in den Psalmen der Bibel.
Und es ist ein sehr idyllisches Bild. Zumindest stelle ich mir das so vor, wenn ich heute an eine Schafherde denke. An die grünen Wiesen und das kristallklare Plätschern eines Baches. Und dann eben der Hirte, der mit seinem Stab herumläuft und nach dem Rechten sieht.
Das hat zur Zeit der Bibel sicher nochmal ganz anders ausgesehen. Und mein idyllisches Hirtenbild ist auch ein bisschen in Verruf geraten. Leider. Ich bin doch schließlich kein Schaf! Und belämmert schon gar nicht. Ich will mein Leben doch selber in die Hand nehmen. Und mir nicht von irgendjemand eine Richtung vorgeben lassen.
Aber was, wenn ich dieses Hirtenbild mal anders denke. Dass jeder für jeden ein guter Hirte sein kann.
Als Vater oder Lehrerin. Als Oma oder Kollege. Als Bruder und Schwester. Ein Hirte der die Richtung weist, wenn der andere sich verirrt hat. Ein Hirte der die Ängste vertreibt. Oder der verbindet, was verletzt wurde. Ein Hirte, der für mich das lebenswichtige Wasser findet. Wenn sich jeder in dieser Verantwortung seinem Mitmenschen gegenüber sieht, dann bin ich auch gerne einmal Schaf. Vertraue dem anderen und verlasse mich auf ihn. Überlasse mal jemand anderem die Führung, bevor ich selber wieder den Stab in die Hand nehme. Denn darum geht es für mich in diesem Gebet. Schlicht und einfach um das Vertrauen.
Für mich ist  die Kirche  so ein Ort, wo jeder Verantwortung für seinen Nächsten übernimmt. Wenn ich da z.B. an die Besuchsdienste denke. Wo Menschen ehrenamtlich ältere oder einsame Menschen besuchen gehen. Oder auch viele sich für eine bestimmte Sache engagieren.
Mag sein, dass ich den Kirchentag noch in mir trage – der war gestern in Stuttgart zu Ende. Da konnte man sehen, wie Menschen an vielen Stellen füreinander da sind. Was da alles möglich ist, wenn das funktioniert.
Und dabei ist es gar nicht so wichtig, wer den Stecken in der Hand hat. Denn letztlich ist der Herr mein Hirte.


[1] Psalm 23,1.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19875
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