SWR2 Wort zum Tag

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Glück ist das einzige Gut, das sich vemehrt, wenn man es teilt - so das Sprichwort. Meine Erfahrung ist, dass es gar nicht so einfach ist, das eigene Glück zu teilen. Inzwischen überlege ich es mir sorgfältig, wem ich erzähle, wenn ich sehr glücklich bin. Es ist nämlich so, dass sich nicht jeder Mensch über das Glück eines anderen Menschen vorbehaltlos freuen kann. Viele Menschen werden nicht glücklich, wenn man das eigene Glück mit ihnen teilen will, sie werden: neidisch. Neid ist eine sehr verbreitete Volkskrankheit. Angeblich sind wir Deutschen davon in besonderem Maße betroffen. Ein Blick in die Bibel zeigt, dass Neid sogar so ziemlich von Anfang an zum Menschsein gehört. Kain ist neidisch auf den Erfolg seines Bruders Abel, mit tödlichen Konsequenzen für den beneidenswert glücklichen Abel. Interessanterweise überlegt Kain mit keinem Gedanken, ob sein Bruder sein Glück schlichtweg verdient hat. Ein Freund von mir sagt immer: Neid muss man sich hart erarbeiten! Ich finde, da ist viel dran. Die Alternative ist der Lottoschein, mit minimalen Chancen aufs Glück. Die meisten Menschen, die neidisch sind, machen sich tatsächlich wenig Gedanken darüber, dass einem das Glück selten in den Schoss fällt, sondern in der Regel das Ergebnis harter Arbeit ist. Oder das Ergebnis eines offenen Blicks für die Geschenke des Lebens, und auch einen solchen Blick muss man sich in der Regel durch Lebenserfahrung erarbeiten, wenn man kein Kind mehr ist, das über jede Kleinigkeit staunen kann! Bezeichnenderweise schreibt die Bibel, dass Kain finster seinen Blick senkt.
Es wäre zweifellos gesünder für Abel gewesen, wenn er sein Glück nicht mit seinem Bruder Kain geteilt hätte. Auf der anderen Seite ist es dummerweise schon so, dass sich Glück danach sehnt, geteilt zu werden. Einsames Glück funktioniert irgendwie nicht. Deshalb ist es wunderbar, wenn ich Menschen kenne, mit denen ich mein Glück teilen kann. Ich mag deshalb übrigens Hochzeiten. Sie bieten die seltene Gelegenheit, mit ganz vielen Menschen glücklich zu sein. Deshalb zählen sie zu Recht zu den Höhepunkten des Lebens, eben als: Hoch-Zeiten. Ich weiß, dass der Weg zum Fest durchaus schwierig sein kann, dass die Familien bei der Vorbereitung dazwischenfunken, sich die Brautleute bei der Tischdekoration in die Wolle kommen können und Schwiegermütter beleidigt sind, wenn es nicht so läuft, wie sie sich das gedacht haben. Aber wenn die Hürden der Vorbereitung endlich gemeistert sind, sich zwei liebende Menschen das Jawort geben und einander dabei so anstrahlen, dass selbst die Sonne neidisch werden könnte, dann ist das ansteckend schön und man muss sich einfach mitfreuen. Es sind die schönen Seiten meines Berufs, dass ich diese Momente häufig miterleben und - neidlos - teilen darf.

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