SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Ein Freund von mir ist vor wenigen Jahren von einem Geschäftspartner richtig übel hereingelegt worden. Er wurde betrogen, um einen sechsstelligen Betrag. Der Mann ist verurteilt worden, sein Geld hat mein Freund jedoch nicht mehr zurückbekommen. Jetzt hat der Mann versucht, wieder Kontakt zu meinem Freund aufzunehmen. Ich will dich nie wiedersehen, hat mein Freund dem Mann geschrieben. Ich habe Dir vergeben, aber ich will nie wieder etwas mit dir zu tun haben.
Ich habe ihm nur vergeben können, erzählt mir mein Freund, weil ich mir vorgestellt habe, dass Gott auch diesen Menschen erschaffen hat und ihn aus einem mir völlig unerfindlichen Grund auch liebt. Nur diese Vorstellung hat mich davor bewahrt, ihn zu hassen. Diese Vorstellung, dass Gott auch diesen Mann liebt, hat mich gerettet. Denn nur so konnte ich mich wirklich von ihm trennen. Ich hätte ihn nie aus meinem Leben werfen können, wenn ich ihm nicht hätte vergeben können. Wer hasst, klebt an dem, den er hasst. Ich bin so glücklich, dass ich vergeben kann. Mein Glaube war meine Rettung!
Das ist auch meine Lebenserfahrung. Die Säure des Hasses frisst sich als erstes in die eigene Seele und zerstört mich selbst. Vergebung ist daher wirklich eine Form, vielleicht tatsächlich die einzige, wie mein Freund meint, die hilft, sich von einem Menschen zu trennen, der mich zutiefst betrogen oder verletzt hat. Vergebung befreit! Zuerst von dem Menschen, der mich verletzt hat. Denn Vergebung bedeutet nicht, dass ich sofort wieder eine Beziehung zu diesem Menschen aufbauen muss. Im Gegenteil. Kein Mensch hat das Recht darauf, meine Freundin oder mein Freund zu sein. Ich darf mich mit gutem Gewissen dauerhaft von Menschen verabschieden, die meine Freundschaft verspielt haben. Nur: Vergeben muss ich ihnen schon, sonst kleben sie weiter an mir wie Kaugummi an einer Schuhsohle.
Jetzt gibt es ja Personen, denen ich trotzdem weiter begegnen muss, etwa, weil ich mit ihnen beruflich zu tun habe, oder weil meine Freunde mit ihnen befreundet sind und ich ihnen bei Festen begegne. Hier hilft dann der Apostel Paulus weiter. Gib deinem Feind, was er zum Leben braucht, so wirst du glühende Kohlen auf sein Haupt häufen, meint Paulus. Ein weiser Mann, der Apostel! Möglicherweise macht es auf diese Art und Weise sogar Spaß, freundlich zu Menschen zu sein, denen ich am liebsten die Pest an den Hals wünschen würde. Schenk ihnen stattdessen ein Lächeln. Und vergib ihnen.
Ich habe keine Ahnung, was Gott sich dabei gedacht hat, als er diesen Typen geschaffen hat, meint mein Freund. Aber mich tröstet es sogar irgendwie, dass Gott ihn liebhat, warum auch immer. Vielleicht ist Gott der einzige. Aber: Einer muss diesen Job ja machen. Nur ich nicht. Gott sei Dank.

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