SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Es gibt Situationen, da scheint alles ausweglos zu sein oder es gibt wirklich keinen Ausweg mehr. Diese Erkenntnis kann einschlagen wie ein Blitz – beim plötzlichen Tod eines lieben Menschen. Diese Erkenntnis kann sich aber auch einschleichen wie ein Dieb – bei einer unheilbaren Krankheit, wenn eine Beziehung auseinander driftet. Einzelne spüren, wie verloren sie sind. 

„Da hilft nur beten“ – sagt man dann. - 

Mit kaum einer anderen Frage kann man Menschen so irritieren wie mit der Frage: „Beten Sie?“ Die Frage ist peinlich, die Antwort auch. Erinnerungen an Kindertage werden wach. „Beten Sie?“ – diese Frage gilt auch als Zumutung. Die Antwort ebenso. Beten ist für viele naiv – übrig geblieben aus alten, unaufgeklärten Zeiten. - Derweil war und ist Beten ein Menschheitsbrauch. Geht er zu Ende oder verändert er sich in einer säkularisierten Welt? 

In Umfragen bekennen erstaunlich viele Menschen, dass sie beten. Wie lässt sich das erklären? Bewusst oder unbewusst ahnen Menschen: Beten gibt der Not eine Sprache. Beten hilft in existenzieller Bedrängnis. Da gibt es nichts, das man nicht sagen oder klagen könnte. Bis dahin, dass der Beter seinen Gott bestürmt mit der immer wieder kehrenden Frage: „Warum?“ – Beten kennt keine Zensur. 

Wer Fragen stellt, resigniert nicht so schnell. Wer fragt, klagt, bittet, wer aufbegehrt – der unternimmt bereits etwas gegen das, was ihm und anderen angetan wird. Der hält einer letzten Sinnlosigkeit stand. Der überlässt selbst dem Tod nicht stillschweigend das allerletzte Wort. 

Wer betet, der ist nicht naiv-frömmlerisch. Beten verändert den Beter. So schöpft der Theologe Dietrich Bonhoeffer aus dem Gebet Kraft zum Widerstand gegen die Nazis. Seine Hinrichtung jährt sich jetzt zum 70. Mal. In einer für ihn bereits ausweglosen Situation schreibt er ein Gebet. Vielen ist dieses Gebet als Kirchenlied vertraut und wichtig geworden: 

„Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ (Gotteslob 430)

 

  

In Anlehnung an Gedanken von Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung vom 04.04.2015

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19837
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