SWR2 Wort zum Tag

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Früher gab es den Dauerlauf. Da sah man ältere Herren in pluderigen dunkelblauen Trainingsanzügen bei schlechtem Wetter durch den Wald rennen. Und niemandem unter dreißig schien so eine Tätigkeit attraktiv. Irgendwann nannte man das dann „Joggen“ – und keiner genierte sich mehr für diese sportliche Tätigkeit. Früher gab es Frömmigkeit:  Bibelsprüche und Kirchenlieder, Weihrauch und Rosenkranz, Engelsbilder über dem Kinderbett und Kerzenschein. So ab 15 wurde das dann manchem eher peinlich. Aber irgendwer gab dem Ganzen einen frischen Anstrich - und nannte es „Spiritualität“.
„Spiri... was?“, würde meine Mutter fragen? Spiritualität, darin steckt Spiritus, der Geist, den man nicht sieht und nicht riecht, sondern nur spürt und erahnt. Der weht, wo er will. Und wann er will. Irgendwie empfinden es manche Menschen als hilfreich, einen Engel am Bett stehen zu haben. Obwohl nirgends bewiesen ist, dass es dergleichen wirklich gibt. Sie empfinden es als wohltuend, eine Stunde lang mit anderen zu schweigen und in sich zu gehen. Sie fühlen sich entlastet, wenn sie beten, im Stillen oder laut. Es tut ihnen gut, eine Kerze anzuzünden, und dabei an einen lieben Menschen zu denken und ihm zu wünschen, dass er behütet sein möge. Und für all das kann man, aber muss man nicht in die Kirche gehen. Es hilft, daran zu glauben, dass es hilft. Das hat sich herumgesprochen. Auch in den Krankenhäusern.
Entsprechend formuliert der Arbeitskreis Seelsorge der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin: „Unter Spiritualität kann die innere Einstellung, der innere Geist wie auch das persönliche Suchen nach Sinngebung eines Menschen verstanden werden, mit dem er Erfahrungen des Lebens und insbesondere auch existenziellen Bedrohungen zu begegnen versucht.“ (DGP, 05.12.06) Also: wenn es einem schlecht geht, hilft manches, von dem man eigentlich nicht genau sagen kann: wie es hilft und warum. Das Wissen der Ärzte hilft weit, aber auch sie stoßen irgendwann an eine Grenze. Die Wissenschaft ist "den Menschen eine mächtige Helferin", hatte schon Sigmund Freud formuliert. Aber in vielen Lagen müsse auch sie "den Menschen seinem Leid überlassen", so dass ihm einzig zur Unterwerfung zu raten wäre. Manchen Menschen gibt es dann Kraft, in der Kapelle eine Kerze anzuzünden und zu zu beten: „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, so fürchte ich kein Unglück“ (Ps 23).

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19827
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