SWR2 Wort zum Tag

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Was wäre, wenn? Ein beliebter Fragesatz. Eine hypothetische Frage. Hypothetisch, weil die Frage eben nicht in der Realität bestehen kann. Ein paar Beispiele für solche hypothetischen Fragen: Was wäre, wenn ich früher in der Schule besser aufgepasst hätte? Was wäre, wenn ich nicht so eine große Klappe hätte? Was wäre, wenn ich rechtzeitig gebremst hätte? Was wäre, wenn ich die richtigen Zahlen im Lotto wüsste?

Das sind Fragen, die mit Phantasie zu tun haben, mit der Möglichkeit des Menschen, sich Unmögliches vorzustellen. Wenn ich „Was wäre, wenn“ frage, dann gehe ich über all das hinaus, was meine Welt so real macht. Ich erobere eine neue, andere Welt.

Der amerikanische Physiker Randall Munroe hat die Frage nach dem »Wenn« und »hätte« auf die Spitze getrieben. Er widmet sich im Internet und einem Buch völlig abstrusen hypothetischen Fragen. Fragen wie: „Wenn man eine zufällige Nummer wählt und ‚Gesundheit‘ sagt, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Angerufene tatsächlich gerade geniest hat?“ Oder: „Hätten wir genug Energie, um die ganze Weltbevölkerung von der Erde wegzubefördern?“ Munroe macht mit diesen abstrusen Fragen ernst. Er versucht sie auf der Basis heutigen Wissens seriös zu beantworten. Das führt oft zu überflüssigen, witzigen aber auch nachdenklich machenden Erkenntnissen.

Eine Erkenntnis, die ich gewinnen konnte, ist völlig unspektakulär. Sie lautet: Mir ist bei der Lektüre der realen Antworten auf die hypothetischen Fragen wieder einmal deutlich geworden, wie viel Phantasie Menschen haben – und wie vieles ich im Leben einfach als selbstverständlich ansehe. Dass die Sonne nicht plötzlich ausgeht, dass die Erde nicht plötzlich viel schwerer wird, dass uns kein riesiger Meteorit trifft, dass mein Leben weitergeht. All das setzte ich voraus. Einfach so.

Die hypothetischen Fragen lassen mich meine Selbstverständlichkeiten in einem neuen Licht sehen. Sie machen mich aufmerksam, wie wunderbar das Leben, die Erde, das Universum sind – und wie zerbrechlich zugleich alles ist. Das hilft mir dann auch, von den hypothetischen Fragen zu meinen wirklichen Leben zurückzufinden. Sie spornen mich an, ganz reale Antworten auf die Fragen zu finden, die sich Tag für Tag stellen. 

 

Munroe, Randall: what if? Was wärewenn?, München 2014.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19807
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