SWR4 Abendgedanken

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Georg, den Drachentöter, habe ich als Kind geliebt – nicht weil er ein Heiliger war, sondern weil er ein stolzer Ritter war. Georg, der starke Ritter kämpft mit einem Drachen. Er besiegt ihn und reitet dann davon. Dieser Georg erschien mir immer wie eine Märchenfigur. Aber ich habe nie so richtig verstanden, warum er ein Heiliger sein soll. Der heilige Georg.

Früher dachte ich: Im Mittelalter haben die Leute halt solche Märchen geglaubt. Heute sind wir zum Glück weiter. Ich kann die Geschichte aber auch anders lesen. Im Mittelalter war ein Drache nicht einfach nur ein Drache. Er war ein Symbol für etwas, vor dem sich die Menschen fürchten. In der christlichen Tradition ist der Drache ein Zeichen für blinde Gier. Der Drache rafft alles an sich und bekommt doch nie genug. Er verkriecht sich in seiner Höhle voller Gold und Edelsteinen. Er verschlingt Mensch und Tier und hinterlässt nur verbrannte Erde.

Dieses Symbol passt auch zu meinem eigenen Leben. Mir sind schon Menschen begegnet, die scheinen sich nach und nach in einen Drachen zu verwandeln. Ein reicher Geschäftsmann zum Beispiel. Bernhard heißt er. Er ist schon weit über 70, aber in seinem Unternehmen kontrolliert er immer noch alles und jeden. Er ist süchtig Geld und Einfluss. Inzwischen fürchten sich die Leute richtig vor ihm. Manchmal scheint es, als ob er vor Wut gleich Feuer spuckt. Selbst seine Ehefrau ist vor ihm nicht sicher. Er behandelt sie wie eine Untergebene.

Manchmal wächst so ein kleiner Drache auch in mir. Dann befällt mich eine blinde Gier. Geiz ist geil und ich will alles für mich. Oder ich werde misstrauisch gegenüber anderen. Ich sehe nur noch, dass sie angeblich neidisch sind und mir was wegnehmen wollen.

Darum meine ich, dass Georg noch längst nicht ausgedient hat. Er zeigt mir: Dieser Drache in mir kann besiegt werden. Es lohnt sich gegen ihn zu kämpfen. Denn dann bin ich wieder frei für das richtige Leben. Nicht als Drache, sondern als Mensch.

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