SWR2 Wort zum Tag

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Arbeit pervertiert, wenn sie mich zum Arbeitstier macht oder zur Arbeitsmaschine. Arbeit pervertiert, weil sie in beiden Fällen die große Verheißung verrät, die in der Arbeit liegt:

Dass ich durch Arbeit Mitschöpfer in Gottes Schöpfung bin. Gottes Schöpfung steht ja nicht still, sie bleibt nicht wie sie einmal war, sie geht weiter, manchmal sogar in kreativen Sprüngen. Und unsere Arbeit trägt die Verheißung in sich, dass sie schöpferisch wirken kann. Gut tun, die Welt verbessern, sogar erneuern.

Aber Arbeit pervertiert, wenn Menschen arbeiten oder arbeiten müssen wie Maschinen. Nicht mehr schöpferisch wie Mitarbeiter an Gottes Welt, sondern nur noch zum Nutzen. Als Mittel zum Zweck. Um geldwerten Output auszustoßen.

Arbeit pervertiert, wenn Menschen arbeiten wie die Tiere. Entweder weil sie müssen, in Doppelschichten, in unwürdigen, krankmachenden Arbeitsverhältnissen, wenn sie sich selbst ausbeuten müssen über ihre Kräfte. Weil sie sonst den Lebensunterhalt nicht sichern können.

Und ich weiß von mir, wir können uns auch selbst zum „Arbeitstier“ machen, wenn man „auf Arbeit“ ist, ohne Pause, ohne Sonntag, ohne Muße. So gesehen leben viele Menschen in pervertierter Arbeit. Hierzulande und in vielen Ländern der Erde.

Gut, wenn diese Perversionen nicht hingenommen werden. Von Gewerkschaften, von verantwortlichen Firmen und guter Politik. Und von jedem selbst.

Manchmal hat man ja Spielraum, aus Perversion befreit zu werden, damit Arbeit wieder schöpferisch wird. Ein Beispiel wie das glücken kann:

Das Neue Testament erzählt von einer Frau, die zum „Arbeitstier“ neigt. Martha. Sie lebt mit ihrer Schwester in einem Dorf nahe Jerusalem. Heute liegt der Ort im palästinensischen Westjordanland. Martha und ihre Schwester sind Freundinnen Jesu. Er kommt überraschend zu Besuch. Martha, ganz Gastgeberin, stürzt sich in die Arbeit. Sie wirkt in der Küche, trägt auf.
Ihre Schwester setzt sich Jesus zu Füßen und ist ganz Ohr. Ob sie ahnt, dass Jesus nicht mehr lange zu leben hat? Irgendwann geht Martha dieses Ungleichgewicht auf die Nerven. Und ihre Lösung: „Jesus, sag meiner Schwester doch, dass sie mir helfen soll.“ Das Arbeitstier hat sie im Griff. Aber es soll sie nicht allein fesseln.

Die Möglichkeit, das Arbeitstier los zu lassen für diese entscheidende Zeit, die kann sie nicht ergreifen. Noch nicht. Und Jesus? „Martha, Du hast viel Mühe. Aber Maria hat das Gute erwählt. Das kann ihr keiner nehmen.“

Ich verstehe das so:
Dass Arbeit Menschen in den Griff nimmt wie ein Tier, ist nicht alternativlos. Es gibt die Möglichkeit der humanen Unterbrechung. In unserer Arbeitswelt muss sie immer wieder politisch erkämpft werden.

Und ich muss diese Möglichkeit selbst ergreifen. Die Macht des Arbeitstiers zähmen.
Man darf übrigens hoffen, dass Martha diese Möglichkeit in sich noch entdeckt hat. Dass die Saat Jesu in ihr aufgegangen ist.
Es gibt von Martha nämlich eine späte, außerbiblische Legende. Die zeigt sie verändert:

Lange nach dem Tod Jesu – so die Legende - sei Martha nach Südfrankreich gekommen. Ins Rhonetal. Ein Drache habe dort die Menschen fürchterlich drangsaliert. Alle Versuche, das Untier zu besiegen, waren gescheitert. Bis Martha kommt. Sie geht dem Drachen entgegen, formt ihre Hände zu einem Kreuz und singt. Und der Drache wird sanft. Und gezähmt.

Ist das nicht eine wunderbare Pointe, dass das „Arbeitstier“ Martha die Musik entdeckt haben könnte. Für mich eine der schönsten Unterbrechungen, mit denen das Leben wieder zu sich kommen kann. So verheißungsvoll menschlich wie der Glaube, dass wir Menschen keine Arbeitsmaschinen sind, sondern Söhne und Töchter Gottes. Spirituelle Wesen.

Keine Arbeitsmaschinen: Schon der große Grieche Aristoteles hat erinnert in seiner Ethik: „Wir arbeiten, um Muße zu haben.“ Nicht umgekehrt. Die kreative Ruhe ist nicht bloßer Zweck, biblisch gesehen ist sie der Anfang und Ziel der Arbeit. Arbeitsstrukturen müssen so gestaltet werden und ich muss es leben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19698
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