Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Heute Nachmittag werde ich mit zwei Männern und ihren Gästen um Gottes Segen für ihre Partnerschaft beten. Seit vielen Jahren leben sie zusammen, vor einigen Jahren haben sie ihre Partnerschaft auch gesetzlich eintragen lassen. In der Kirche, der ich angehöre, sind solche Partnerschaftssegnungen offiziell möglich; es gibt sogar einen Ritus dafür, herausgegeben von Bischof und Synodalvertretung. Trotzdem stoßen sich nicht wenige Menschen daran. Sie können sich nicht vorstellen, dass Gott neben Ehe und Familie auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften akzeptiert, ja sie befürchten sogar, dass Ehe und Familie Schaden nehmen, wenn andere Lebensformen zugelassen sind.

Die Entscheidungsträger in unserem alt-katholischen Bistum haben diese Befürchtungen nicht. Sie können dabei auf zwei Jahrzehnte Erfahrung in den Gemeinden bauen. Dabei hat sich gezeigt, dass homosexuelle Menschen zu denen gehören, die Ehe und Familie fördern. In unserer Stuttgarter Gemeinde arbeitet einer mit großer Begeisterung im Familiengottesdienstteam mit.

Wer in der Bibel nach Maßstäben für gleichgeschlechtliche Partnerschaften sucht, sucht vergebens; es gibt sie nicht. Aber es gibt stattdessen indirekte Hinweise. Sie knüpfen beispielsweise daran an, wie Jesus gesellschaftliche und religiöse Konventionen aufbricht, wenn es um das Heil des Menschen geht, etwa im Umgang mit Frauen oder wenn er am Sabbat in der Synagoge einen Menschen heilt. Jesus zeigt damit: „Gott ist größer als unser Herz“ (1. Johannesbrief 3,20). Im alt-katholischen Gesangbuch gibt es über dieses Bibelwort ein Lied, in dem ausgedrückt ist, wo das konkret wird. „Welt ist nicht nur, was Menschenaugen sehn, / und Ordnung mehr, als wir davon verstehn“, heißt es in der zweiten Strophe. [1] Diese Worte weiten meinen Blick. Sie machen deutlich, dass es hinter dem, was mit den Sehorganen wahrnehmbar ist, noch eine Ebene gibt, die nur mit anderen Augen angeschaut werden kann. Auch mein Herz hat Augen; mit ihnen sehe ich tiefer, in andere Menschen hinein. Mit ihnen sehe ich auch, wie unfassbar groß Gott ist: dass er sich nicht beschränkt auf das, was ich normalerweise sehen kann. Das bestärkt mich, zusammen mit den beiden Männern und ihren Gästen heute Nachmittag um Gottes Segen zu bitten, damit ihre Liebe immer lebendig bleibt.

 



[1] Eingestimmt. Gesangbuch des Katholischen Bistums der Alt-Katholiken in Deutschland. Bonn 2003, Nr. 636: In deiner Schöpfung birgt sich dein Gesicht (T: Joachim Vobbe 1995, M: Arnold Senn 1995).

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19657
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