SWR2 Wort zum Tag

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Für alles gibt es Statistiken. Daher wissen wir: der typische Deutsche steht morgens um 6 Uhr 18 auf und geht abends um 23 Uhr 4 schlafen. Er ißt 214 Eier im Jahr und liest im Leben 274 Bücher. Er verschleißt im Leben vier Kühlschränke, sieben Fernseher, elf Kaffeemaschinen und 25 Handys.  Und wenn er 70 Jahre alt wird, hat er im Durchschnitt  100.000 mal geküsst.
Ich muss sagen, ich lese solche Statistiken mit Interesse. Staune über die Mühe, die dahinter steckt. Und weiß auch, dass Statistiken wichtig sind, um Dinge besser planen zu können.
Irgendwie fühle mich aber auch unbehaglich. Vermutlich, weil ich mir in einer Statistik als unbedeutende  Nummer in einem großen Zahlenwerk vorkomme.  
Mit einem Lächeln muss ich an meinen alten Statistikprofessor im Studium denken. Wenn ein Mensch mit einem Bein auf einer glühenden Herdplatte steht und mit dem anderen auf einem Eisblock, meinte er, dann sagt die Statistik, es gehe ihm im Durchschnitt gut. Womit er uns klar machen wollte: man muss wissen, wie man Statistiken liest. Und wie man sie besser nicht interpretieren sollte.
Denn über den konkreten Einzelfall sagt eine Statistik nichts aus.  Das Einzigartige und Besondere eines einzelnen Menschenlebens kann keine Statistik erfassen.
Das zu wissen, finde ich wichtig. Es ist eine Voraussetzung für einen humanen Umgang miteinander. Sich darüber klar zu sein: der oder die Andere ist kein numerischer Wert in einem Zahlensystem. Sondern ein einmaliger, unverwechselbarer Mensch.
In einem biblischen Psalm finde ich diesen Gedanken wieder. Dass ich als Mensch in einer einmaligen Beziehung zu Gott stehe. Gott sagt zu mir am Beginn meines Lebens: ich kenne dich, du Klaus, Michael oder Martin, Lisa, Maria oder Anna. Ich schaue auf dich. Ich habe dich im Blick. Oder  in der Sprache des Beters von Psalm 139: „Deine Augen, Gott, sahen mich, als ich noch nicht bereitet war... Und am Ende bin ich noch immer bei dir.“
Ich finde es schön zu wissen: für Gott bin ich keine statistische Größe. Sondern jemand, zu dem er Du sagt. Du, ich sehe dich! Ich nehme dich wahr! Nicht weil ich dich kontrolliere, sondern weil Du mir wichtig bist. Kein Durchschnitt. Sondern ein einmaliger Mensch!
Ich denke: wer so angesehen ist, dem gelingt es leichter, auch einen anderen Menschen anzusehen - als Gottes ganz besonderes  Geschöpf.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19640
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