SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

„Könnt ihr nicht endlich mal Geschichte Geschichte sein lassen, müsst ihr immer wieder in Wunden wühlen, hört das denn nie auf...?“ Solche und ähnliche Sprüche habe ich öfter aus der Generation meines Vaters gehört. Von Menschen, die von Hitlers Demagogen fanatisiert und missbraucht wurden - und die all das ein Leben lang mitschleppten. Ohne mit jemand darüber zu reden. Nur nicht erinnert werden. Nur nicht erinnert werden.

Für mich als Jugendlicher war das oft schwierig, weil ich wissen wollte, was damals war, und nicht nur die Fakten. Sie waren doch Zeitzeugen, hatten alles erlebt...Oft war ich richtig verärgert und hatte Null Verständnis für Ausweichmanöver oder hartnäckiges Schweigen.

Als ich viel später selbst Opfer eines Raubüberfalls wurde, und mir Hilfe nahm um den Schock zu verarbeiten konnten das manche der Vätergeneration nicht verstehen. Wieso stellt der sich so an? Gut, war schlimm was er erlebt hat, aber im Vergleich zu uns? Wir haben doch vielmehr weggesteckt. Stimmt, fragt sich bloß wohin, dachte ich damals und kapierte das Schweigen, die Härte und das Nicht-Zeigen-Können von Gefühlen einer ganzen Generation.

Mein Vater gehörte zu denen, die nicht erinnert werden wollten, kaum ein Gespräch war darüber möglich. Als er mir im hohen Alter Tonkassetten überreichte, die er mit seinen Kriegerlebnissen in Jugendjahren besprochen hatte, traute ich mich lange nicht sie abzuhören. Was würde dort zu hören sein, was würde ich an Schrecklichem erfahren, das Vater keinem Gesicht erzählen wollte, aber auf diese technische, fast anonyme Weise loswerden wollte? Sollte er selbst an Verbrechen beteiligt gewesen sein? Schreckliche Vorstellung. Ich verwahrte die Kassetten im Schrank, ohne sie abzuhören… Erst nach seinem Tod traute ich mich und erschrak über mich. Nichts von Verbrechen, aber Erlebnisse eines 17jährigen in Uniform, in den Krieg geworfen und beladen mit unsäglichen Erfahrungen, grauenhaften Bildern…

Für ein Gespräch, ein Zuhören, ein Erzählen-Können ist es jetzt zu spät. Nicht zu spät ist es aber denen zu helfen, die heute auf ihre verlorene Jugend schmerzhaft zurückblicken. Ich meine die jungen Kriegsflüchtlinge, 14, 15, 17Jährige, die teilweise jahrelange Odysseen hinter sich haben, bis sie bei uns ankommen. Beladen mit Erlebnissen, die wir keinem unserer eigenen Jugendlichen wünschen. Ihnen zuzuhören, Wege zu zeigen eben nicht "wegzustecken", kann ihnen helfen, der Erinnerungseinsamkeit unserer Väter zu entgehen.

(zum angekündigten Hl.Jahr der Barmherzigkeit)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19623
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