SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

In der Komödie „Einladung ins Schloss“ von Jean Anouilh, gibt es im 3. Akt eine herrliche Szene: Sie spielt während eines großen Festes: Die liebenswürdige, alte Madame Desmermortes, die an einen Rollstuhl gefesselt ist, unterhält sich mit ihrer humorlosen, vertrockneten Gesellschafterin Mademoiselle Capulat. Mademoiselle jammert und bedauert in solchen Nächten nicht mit von der Partie sein zu können, die alte Dame hingegen schaut den Tanzenden gelangweilt zu und tröstet  ihre Gesellschafterin mit dem Hinweis: „Ihnen bleibt immer noch der liebe Gott…. Sie werden in einem bequemen Sessel zu seiner Rechten sitzen, während ich zunächst einmal auf kleinem Feuer geröstet werde.“ Mademoiselle Capulat entgegnet ihr: „Gottes Barmherzigkeit ist ohne Grenzen, Madame.“ Davon ist auch die alte Dame überzeugt:  „Das versteht sich von selbst, dass er seine Versprechungen hält“, sagt sie, „sonst wären ja die Gerechten, die sich auf ihn verlassen haben, verraten und verkauft“. Und lächelnd fügt sie hinzu: „Ich habe oft vom Tage des jüngsten Gerichts geträumt und das empörte Geschrei der Glückseligen gehört: ‚Unerhört, er verzeiht den anderen ja auch!’ Das trieb ihnen derart die Galle heraus, brachte sie so in Wut, dass sie nicht mehr an sich halten konnten. Sie stießen schreckliche Verwünschungen aus. Und was war die Folge? Sie kamen selber in die Hölle. Es war zu hübsch.“ (zitiert nach Jean Anouilh, Einladung ins Schloss, in: Meisterdramen, Langen Müller Verlag, München-Wien 1967)

Soweit Jean Anouilh. Bissig, überspitzt, etwas sarkastisch. Aber es trifft einen entschiedenen Punkt: Gott ist barmherziger mit uns, als wir mit uns selbst. Jedenfalls hoffe ich das, sonst sieht es schlecht mit uns aus. Barmherzigkeit ist eine Hauptvokabel im Evangelium. Sie setzt moralische Maßstäbe, Eckpfeiler, Prinzipien nicht außer Kraft, ist kein Freibrief für Beliebigkeit. Aber zeigt deutlich, dass nicht alle über einen Kamm zu scheren sind. Menschen, die von außen besehen die Norm erfüllen sind für mich noch nicht per se Garanten für moralische Glaubwürdigkeit. Das können sie sein. Müssen sie aber nicht.

„Liebe und tue was Du willst“ wusste schon Kirchenvater Augustinus. Und Lieben kann schon mal damit anfangen, dass man jemand erst mal überhaupt eine Chance gibt, ihm zuhört, auch wenn es sein kann, dass man unterschiedlicher Meinung ist. Wenn man Respekt vor anderen Lebensweisen hat ohne sie selbst zu leben. Wenn man die Sehnsucht von Menschen achtet so lieben zu dürfen, wie sie sind, wenn man vor allem barmherzig mit Scheitern umgeht.

(zum angekündigten Hl.Jahr der Barmherzigkeit)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19622
weiterlesen...