SWR2 Wort zum Tag

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Ein Muslimbruder hat das höchste Staatsamt übernommen und schickt sich an, das Land gründlich umzukrempeln. So zeichnet der französische Autor Michel Houellebecq in seinem aktuellen Roman „Unterwerfung“ das gesellschaftliche Porträt Frankreichs im Jahr 2022: Mädchen und Frauen räumen das öffentliche Feld, nehmen ihren Platz in der häuslichen Familienpflege ein oder verschwinden unter Schleiern. Unliebsame kritische Bildungsinhalte oder Resultate wissenschaftlicher Forschung kommen unter Verschluss.
Man hat Houellebecq deswegen Angstmache und Islamophobie vorgeworfen. Zu Unrecht, finde ich. Houellebecq erzählt seine Geschichte mit Augenzwinkern und beißender Ironie. Und zwischen den Zeilen blitzt ein ernstes Thema auf: die Frage nach der Substanz westlicher Werte.
Der Titel des Buches – „Unterwerfung“ – deutet an, was Houellebecq im Verlauf seines Romans als charakteristisch für den Islam in Religion und Kultur herausarbeitet. Ein Professor, der unter der neuen islamischen Bildungspolitik Karriere gemacht hat, entfaltet dies in einer längeren Unterredung: Unterwerfung ist das höchste Glück des Menschen. Davon ist er überzeugt. Es beginnt beim Gehorsam gegenüber Gott und setzt sich in gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen fort.
Das ist natürlich eine gezielte Provokation. Für mich steckt darin die Frage, ob die moderne Sicht auf den Menschen, die von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit geprägt ist, nicht letztlich eine Überforderung darstellt. Es ist aber auch eine Anfrage an das christliche Gottes- und Menschenbild: Hat Gott den Menschen nicht zu seinem Ebenbild erschaffen? Ist Gott nicht in Jesus Christus Mensch geworden? Gott auf Augenhöhe mit dem Menschen. Ein Gott, der sich in die Hände der Menschen begibt und ihnen damit ein hohes Maß an Verantwortung zutraut – für die Gestaltung ihres Zusammenlebens, für den Umgang mit der Schöpfung.
Für Houellebecq scheint dieses Bild von Gott und Mensch seine Kraft verloren zu haben. Ausgelaugt und leer wirkt in seinem Roman eine Gesellschaft, die auf diese Grundgedanken und Werte aufbaut. Schade! Denn vielleicht sind wir uns dieser Grundlagen nur zu wenig bewusst. Vielleicht trauen wir ihnen zu wenig zu. Meines Erachtens gelingt das Zusammenleben von Menschen nur, wenn sie einander auf Augenhöhe begegnen. Und als Christ sehe ich, wie Gott dies in Jesus vorgemacht hat.

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