SWR2 Wort zum Tag

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Wer kritisch denkt, glaubt nicht. Wer fromm ist und betet, ist nicht aufgeklärt. Immer noch geistert dieses völlige Missverständnis durch Köpfe und Schlagzeilen. Dabei ist das Gegenteil wahr: wer glaubt und betet, hat gute Gründe, er weiß auch viel vom Zweifel. Sollte man denn jemanden, der liebt, unvernünftig nennen? Das Licht der Vernunft stellt den Glauben nicht in den Schatten. Wer aufgeklärt ist, weiß wem er glaubt und warum. Heute wird eines Christenmenschen gedacht, der nicht zufällig den Beinamen „der Große“ erhielt. Dass Glaube und Vernunft zusammengehören, ist bei ihm beispielhaft zu lernen. Vor über 800 Jahren im schwäbischen Lauingen geboren (ca. 1193), ist dieser Albert der Große eine imponierende Lehrergestalt im damaligen Europa, wo die Universitäten ent-stehen. Früh schon tritt er der spirituellen Avantgarde seiner Zeit bei, den Dominikanern. „Contemplata alliis tradere“ war ihr Wahlspruch: was im Studieren und Beten innerlich angeeignet wird, soll an andere weitergegeben werden. Das tat Albert ein Leben lang: als Hochschullehrer, als Provinzial, also Chef seines Ordens in Deutschland und schließlich als Bischof in Regensburg – in jener Stadt also, in der sich jüngst der Papst entschieden gegen Gewalt aussprach und für intensivsten Vernunftgebrauch. Damals drängte ein an-derer Papst, Alexander IV., den schon über sechzigjährigen Albert, unbedingt das Bi-schofsamt zu übernehmen: „Da du am Quell der göttlichen Offenbarung dich nährst mit dem heilbringenden Wasser der Wissenschaft, so dass dein Herz erfüllt ist, und du ein sicheres Urteil besitzt in allem, was Gott betrifft, so setzen wir die feste Hoffnung auf dich, dass die Kirche von Regensburg, die in geistlicher und zeitlicher Hinsicht so stark zerrüttet ist, durch dich geheilt wird.“ Wissenschaft und Glaube, Kirchenleitung und Ge-meindearbeit, Denken und Beten gehören untrennbar zusammen. Grundsätzlich gilt die Bemerkung von Albert: „Viele Menschen blicken wie das liebe Vieh auf den Boden. Dabei sagt doch schon der Dichter Ovid: Die Götter schufen die Menschen mit aufrechtem Gang, damit sie zu den Sternen schauen.“
Aufklärung im Denken und Erleuchtung im Glauben – sie sind kein Gegensatz, sie sind die Fülle gelingenden Lebens. Möge uns dieses Licht aufgehen!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=196
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