SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

"Sie müssen mir nichts schenken“, versuche ich mich zu wehren – ohne Erfolg. Ich habe der alten Damen gerade zwei Batterien vorbeigebracht.
Vor ein paar Tagen hatte ich sie schon einmal besucht. Da erzählte sie mit von ihrer kaputten Fernbedienung. Ich hatte mir diese etwas näher angesehen und mir gedacht, dass wahrscheinlich nur die Batterien leer sind.
Jetzt ging ich mit ihr ins Wohnzimmer und habe die beiden mitgebrachten Batterien in die Fernbedienung eingelegt. Was soll ich sagen? Da lief der Fernseher wieder und die alte Dame war überglücklich.
Jetzt war sie es, die mir noch etwas schenken wollte. Ehe ich mich wehren konnte, war sie schon verschwunden und kam mit einer Flasche Wein zurück. „Sie trinken doch bestimmt einen guten Wein? Lassen Sie sich den mit Ihrer Frau schmecken.“ Punkt.
Es war klar: dieses Geschenk durfte ich jetzt nicht ausschlagen. Sie wollte mir eine Freude machen, so wie es mir eine Freude war, ihr die Batterien zu bringen.
Solche Geschenke mag ich. Sie kommen von Herzen und drücken ganz viel aus.
Aber ich kenne auch die anderen Geschenke, die gegeben werden, weil man niemanden etwas schuldig bleiben möchte. Da habe ich einem Freund oder Nachbarn etwas geholfen und werden dann gefragt: „Und, was bin ich ihnen schuldig?“
Ist das denn ein Geschäft gewesen? Ich liefere etwas und werde dafür bezahlt?
Das wollte ich doch gar nicht! Besteht Freundschaft und gute Nachbarschaft nicht gerade darin, dass ich auch mal etwas schuldig bleiben darf? Muss alles ausgeglichen sein?
Nein. Freundschaft fängt da an, wo ich etwas für den anderen tue, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Und gute Freunde können auch etwas vom anderen annehmen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.
Bei der alten Dame habe ich gespürt, dass sie mir den Wein von Herzen geschenkt hat. Das ist OK so. Aber es hätte nicht sein müssen, denn ich hatte viel Freude daran, sie mit den neuen Batterien zu

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