SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Vor drei Wochen ist mir etwas aufgefallen, das ich sonst übersehe: Erinnern Sie sich an das eigenartige Licht? Wegen einer partiellen Sonnenfinsternis ist es am hellen Vormittag dunkel geworden. Ich habe das regelrecht körperlich gespürt: jene besondere Milde und Ruhe, die es sonst nur in den Abendstunden gibt, wenn die Sonne langsam untergeht, und die Nacht heraufzieht. Wenn mich diese Stimmung berührt, dann lasse ich leichter los. In der Literatur der Romantik wird diese Abendzeit die „blaue Stunde“ genannt. 

So eine „blaue Stunde“ muss gewesen sein, als zwei Freunde ihre Ostererfahrung machen. Für mich ist es die schönste Beschreibung in der Bibel, wie Ostern überhaupt zu kapieren ist. Sie spielt sich auch in den Abendstunden ab. Der Tag liegt hinter den beiden. Sie sind auf der Flucht. Weg von der Katastrophe in Jerusalem. Fast kommt es einem so vor, als wollten sie damit alles hinter sich lassen, was in den letzten zwei Jahren war; als sie mit Jesus herum gezogen sind und den wunderbaren Duft von Freiheit und Liebe geatmet haben. Jetzt geht es nach Emmaus, in ein kleines Dorf, das sie kennen und wo sie sich sicher fühlen. Auf ihrem Weg zermarten sie sich den Kopf, sie spekulieren, wie es jetzt weiter geht. Dass Jesus tot sein soll, können sie sich nicht vorstellen/akzeptieren. Den Tod eines Menschen, den man liebt, begreift niemand einfach so. Auch erprobte Christen nicht. Es ist so leer in ihnen.

Irgendwann begegnen sie einem Fremden. Aus dem Dialog der beiden Freunde wird ein Dreier-Gespräch. Aber auch mit ihm kommen sie zunächst auf ihrer Suche nach einer Perspektive nicht wirklich voran. Erst als sie am Ende des Tages miteinander einkehren, essen und Wein trinken, verändert sich die Stimmung. Sie sehen was passiert ist, buchstäblich in einem anderen Licht. Und sie spüren, dass von dem Fremden Trost ausgeht. Auf einmal ist er gar nicht mehr fremd, sondern nahe und vertraut. Da verstehen sie: Das ist es. Der ist es. Und ein großes Gefühl von Glück und Freude durchströmt sie. Ihr Freund Jesus lebt. 

Die blaue Stunde am Abend ist schön und kostbar. In ihr verändern wir uns. Und machen vielleicht Erfahrungen, die wir sonst nie gekannt hätten. Die Freunde von Jesus wollen das nicht wieder hergeben und sagen deshalb: Bleib doch bei uns. Ich versteh das nur zu gut. Weil es mir auch so geht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19526
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